Pestmond (German Edition)
wurde noch einmal deutlich herzlicher, bevor er ihm eine weitere Kopfnuss verpasste, die ihm dieses Mal tatsächlich kurz das Bewusstsein raubte, wenn auch nur so lange, bis er ihn grob aufrichtete und ein paarmal sacht ohrfeigte. Jedenfalls nahm Andrej an, dass er es für sacht hielt. »Ich habe dich etwas gefragt«, erinnerte er sanft.
Der Matrose, aus dessen Nase jetzt noch mehr Blut lief, hob benommen die Hände vors Gesicht. Sein Blick flackerte.
»Wie kommen wir ungesehen von Bord?«, fragte Abu Dun in jetzt ganz und gar nicht mehr freundlichem Ton. An Andrej gewandt fügte er hinzu: »Wir brauchen ein Schiff. Ich glaube, ich habe bei unserer Ankunft Lichter gesehen, nicht weit in südlicher Richtung. Vielleicht können wir uns dort ein Boot besorgen und zum Festland rudern.«
Sie hatten kein Licht gesehen, da war sich Andrej vollkommen sicher, und die Entfernung war viel zu groß, um irgendetwas anderes als glatten Selbstmord aus dem Versuch zu machen, dorthin zu rudern. Dann verstand er.
»Wir sollten sie trotzdem töten«, antwortete er, wobei er vorsichtshalber nicht darüber nachdachte, wie ernst ihm dieser Vorschlag wirklich war. »Tote Männer reden nicht. Ich möchte nicht, dass sie uns verfolgen.«
Abu Dun signalisierte ihm mit den Augen ein Nicken, seufzte noch einmal und hob das Messer auf, mit dem der Bursche Andrej gerade geschnitten hatte. Noch immer lächelnd verpasste er ihm einen heftigen Schnitt am Hals und fasste ihn so hart mit seiner Eisenhand im Nacken, dass er die Augen verdrehte und in Ohnmacht fiel. Der Nubier fing ihn allerdings nicht nur auf, sondern sorgte durch kundigen Druck auf eine bestimmte Stelle an seinem Hals auch dafür, dass der Blutstrom rasch dünner wurde und schließlich gänzlich versiegte.
»Er wird es überleben«, sagte er. »Auch wenn ich um nichts auf der Welt seine Kopfschmerzen haben möchte, wenn er aufwacht.«
»Warum hast du das getan?«, fragte Andrej.
»Seltsam, aber gerade wollte ich dir dieselbe Frage stellen«, erwiderte Abu Dun. »Warum wolltest du diese Männer töten?«
Andrej setzte ganz automatisch zu einer angemessen empörten Antwort an – und beließ es dann bei einem verwirrten Blick, als er sich eingestehen musste, dass er es nicht konnte. Abu Dun hatte recht. Es gab keinen Grund, sie zu töten. Bis die Matrosen gefunden wurden oder von selbst aufwachten, waren sie schon längst nicht mehr hier.
Oder tot, je nachdem.
Abu Dun stand auf und nahm die Sturmlaterne an sich, um den Raum zu inspizieren. Im Prinzip unterschied er sich nicht von dem an Bord der Pestmond, in dem sie den größten Teil der Überfahrt verbracht hatten, er war nur um Etliches größer. Es gab weder Fenster noch einen zweiten Ausgang, und zumindest zu einem Teil lag er unter der Wasseroberfläche.
Abu Dun durchsuchte ihn trotzdem akribisch und ging schließlich zur Treppe, ohne Andrej auch nur noch eines weiteren Blickes zu würdigen.
»Da oben ist jemand«, bemerkte er überflüssigerweise. »Zwei oder drei mindestens. Sie patrouillieren.«
So viel zu der Idee, möglichst unauffällig von diesem Schiff herunterzukommen. Wenn Raspelstimme die Wahrheit gesagt hatte und es tatsächlich fünfzig Soldaten – mit Musketen! – an Bord gab, dann würde es nicht leicht werden, von hier zu verschwinden.
Abu Dun nahm ihm die Entscheidung ab. Er lauschte noch einen Moment mit geschlossenen Augen, wechselte die Laterne von der Rechten in die Linke und benutzte die frei gewordene Eisenhand, um die Klappe leicht anzuheben und dann mit einem Ruck vollends nach oben zu stoßen. Ein überraschter Schrei erklang und wurde von einem sonderbar weichen Knall abgeschnitten, als die Klappe den Besitzer der Stimme unter sich begrub. Abu Dun explodierte regelrecht in die Höhe und war schneller über der Klappe verschwunden, als selbst Andrejs Blick ihm zu folgen vermochte. Ein weiterer erschrockener Aufschrei erscholl und brach beinahe noch abrupter ab als der erste. Andrej schluckte einen Fluch hinunter und jagte hinter Abu Dun her, so schnell er nur konnte, aber er holte ihn trotzdem erst ein, als auch der dritte Mann bewusstlos zu Boden sank – möglicherweise das einzige Mitglied der Patrouille, das überhaupt begriff, wie ihm geschah.
»War das jetzt wirklich notwendig?«, fragte er.
»Ich weiß, ich hätte dir einen übrig lassen sollen.« Abu Dun bemühte sich um einen schuldbewussten Gesichtsausdruck. »Aber du kennst mich, Hexenmeister. Manchmal geht es einfach mit mir
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