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Pestmond (German Edition)

Pestmond (German Edition)

Titel: Pestmond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Begründung etwas erwidern konnte, und stieß die zwei Türflügel mit beiden Händen so wuchtig auf, dass sie innen gegen die Wand prallten und Putz davonflog. Andrej war überrascht, wie winzig der Raum war. Der Anzahl der einfachen Bänke nach zu schließen, konnte diese Kirche kaum mehr als zwei Dutzend regelmäßige Besucher haben, was auch zu Andrejs Einschätzung der Einwohnerzahl des Ortes passte. Es gab keinen Altar, sondern nur einen hölzernen Tisch mit einer zerschlissenen Häkeldecke, auf der ein mit deutlich mehr Enthusiasmus als handwerklichem Geschick geschnitztes Kruzifix stand. Daneben brannten zwei Kerzen, die offensichtlich erst vor Kurzem angezündet worden waren.
    »Sieht so aus, als hätte Don Fettbacke Wort gehalten. Immerhin.« Abu Dun war einen Schritt vor der geöffneten Tür stehen geblieben und wirkte sonderbar unschlüssig. Zugleich hatte er aber auch den Mantel zurückgeschlagen, sodass jedermann den gewaltigen Säbel an seiner Seite sehen konnte. Andrej warf ihm einen fragenden Blick zu, und der Nubier zog eine Grimasse und meinte nur: »Ich bleibe lieber hier und passe auf. Außerdem … ich als Heide in einer christlichen Kirche … nicht, dass mich am Ende noch ein Blitz göttlicher Rache trifft.«
    So oft, wie Abu Dun schon in einer christlichen Kirche gewesen war (einige hatte er eigenhändig niedergerissen, bei anderen hatte er genauso eigenhändig mitgeholfen, sie aufzubauen), hätte die Welt wohl schon längst untergehen müssen, dachte Andrej spöttisch, kam aber nicht dazu, eine entsprechende Bemerkung zu machen, denn in diesem Moment flog eine Tür am anderen Ende der kleinen Kapelle auf, und ein grauhaariger Mann schwer zu schätzenden Alters stürmte herein. Andrej konnte seine Furcht förmlich riechen, und hätte sein zerschlissener Priesterrock nicht so laut geraschelt, dann hätte man vermutlich hören können, wie seine Knie schlotterten – aber nichts davon hinderte ihn daran, mit hoch erhobenen Händen und heiligem Zorn in den Augen auf Andrej zuzustürmen.
    »Wer hat euch erlaubt, das Haus Gottes zu betreten, ihr verdammten Heiden?«, rief er aufgebracht. »Das hier ist ein Ort des Friedens! Niemand betritt ihn mit einer Waffe in der Hand!«
    Abu Dun streckte demonstrativ die Hände zur Seite aus und blickte auf die wuchtige Waffe an seinem Gürtel. Andrej schluckte alles hinunter, was ihm auf der Zunge lag, und zwang sich ganz im Gegenteil zu einem ganz leicht verletzten Lächeln und sagte: »Ich bin kein Heide, Vater. Und wir wollen Euch nicht belästigen, sondern nur eine Frage stellen.«
    »Oder zwei«, fügte Abu Dun von der Tür aus hinzu.
    »Ich will euch hier nicht haben«, fuhr der Geistliche fort, eher noch aufgebrachter. »Nicht in meinem Haus!«
    »Und ich dachte, es wäre das Haus Gottes«, sagte Abu Dun.
    »Wage es nicht, den Namen des Herrn in den Mund zu nehmen, du Verbrecher!«, fuhr ihn der Geistliche an. »Und geh weg von der Tür! Du besudelst dieses Haus mit deiner Nähe!«
    Abu Dun blinzelte, sah einen Moment lang ehrlich verblüfft aus und nahm endlich die Arme herunter. »Na, wenn du mich so höflich bittest«, meinte er, griente schon fast unanständig breit und trat nicht nur mit einem einzigen Schritt ein, sondern warf auch die Tür mit einer blitzartigen Fußbewegung hinter sich zu. Der Geistliche japste, als hätte er ihn unversehens an der Kehle gepackt, fuhr herum und stürmte zu der Tür, durch die er hereingekommen war.
    Nach kaum zwei Schritten blieb er allerdings auch genauso abrupt wieder stehen, denn Andrej hatte die kurze Zeitspanne genutzt, die er abgelenkt gewesen war, um an ihm vorbei und vor die zweite Tür zu treten.
    »Auf ein Wort, Vater.«
    Jetzt begann die Angst in den Augen des Geistlichen überhandzunehmen. Er zitterte am ganzen Leib, und selbst im schwachen Kerzenschein und dem wenigen Licht, das durch das runde Fenster über der Tür hereinfiel, konnte Andrej erkennen, dass er nun alle Farbe verlor. Nach einer weiteren Sekunde regte sich jedoch schon wieder der Trotz in seinen Augen, und Andrej kam nicht umhin, die Kraft dieses Mannes zu bewundern, spürte er doch die nackte Todesangst, die er litt.
    Bei diesem Gedanken wurde ihm bewusst, dass er seine Todesangst nicht nur spürte, sondern sie regelrecht genoss. Etwas in ihm labte sich an ihr wie an dem süßesten Wein, und er wollte mehr.
    »Diese Kerzen, Vater«, sagte er. »Wer hat sie angezündet? Und wie ist Euer Name?«
    »Lucio«, antwortete der Geistliche.

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