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Pestmond (German Edition)

Pestmond (German Edition)

Titel: Pestmond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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still!«
    Abu Dun murmelte irgendeine Antwort, die er gar nicht hören wollte, drehte sich aber gehorsam um und biss die Zähne zusammen, während Andrej mit spitzen Fingern die letzten Holzsplitter aus seinem Nacken zog. Die Druckwelle, die dem Ausbruch der wütenden Feuersbrunst im Schiffsbauch gefolgt war, war wohl doch heftiger gewesen, als sie zunächst geglaubt hatten, denn als sie an Land gekrochen waren, konnte der Nubier eine gewisse Ähnlichkeit mit einem zu groß geratenen Stachelschwein nicht leugnen. Die meisten Splitter hatte er inzwischen selbst herausgezogen, doch es gab ein paar Stellen an seinem Körper, die nicht einmal er mit seinen langen Armen erreichen konnte. Andrej war in Versuchung gewesen, sie stecken zu lassen. Natürlich tat er es nicht, aber er musste zugeben, dass er durchaus behutsamer hätte vorgehen können. Wie sich die beiden Soldaten fühlen mussten, die der Druckwelle noch deutlich näher gewesen waren als Abu Dun, wollte er sich lieber gar nicht erst vorstellen.
    »Das war der letzte«, behauptete er, während er einen gut fingerlangen Splitter aus Abu Duns Rücken zog. Einen zweiten, deutlich kleineren Dorn ließ er stecken. Sollte sich der Nubier ruhig noch eine Weile daran erinnern, was er angerichtet hatte.
    »Und wie geht es jetzt weiter?«, fragte Abu Dun, nachdem er noch einmal scharf die Luft durch die Zähne eingesogen hatte.
    Andrej sah den nadelfeinen Splitter in seinen Fingern an, als überlegte er, ihn wieder dorthin zu stoßen, wo er ihn herhatte. Doch dann deutete er nur ein Schulterzucken an, ließ ihn fallen und drehte sich zum Meer um. Die Brandung lief an dieser Stelle mit einem seidigen Geräusch auf einem breiten Sandstrand aus, der sich so sehr von der abweisenden Steilküste unterschied, an der sie Corleanis hatte niederschießen lassen, wie es nur möglich war. Der Rest des Schiffes war hinter einer gewaltigen Klippe verborgen, die sich wie ein Fremdkörper aus dem Meer erhob. Dahinter konnte Andrej eine dicke grauschwarze Rauchsäule ausmachen, die sich in die fast unbewegte Luft erhob.
    Er glaubte nicht, dass das Feuer ganz außer Kontrolle geraten war und das Schiff vollkommen zerstört hatte. So viel Glück würden sie nicht haben. Aber die Ablenkung hatte funktioniert, und die Männer auf dem Schiff vermuteten sie jetzt mit ziemlicher Sicherheit ertrunken und von Kugeln durchsiebt auf dem Meeresgrund. Viel wichtiger aber war, dass auch Hasan und seine Assassinen diese Rauchsäule unmöglich übersehen konnten. Den Vorteil der Überraschung hatten die Venezianer auf diese Weise eingebüßt.
    »Ich weiß ja, dass es sinnlos ist«, sagte Abu Dun, gerade als Andrej sich fast sicher war, dass er keine Antwort mehr bekommen würde. »Aber ich sage es trotzdem noch einmal: Lass uns ein Boot suchen und verschwinden. Wir schulden diesen Leuten nichts.«
    »Außer deinem Leben.«
    Abu Dun machte sich nicht einmal die Mühe, darauf zu antworten. »Dieses Schiff und die Caravelle gehören zusammen, Hexenmeister. Und es gibt davon noch mehr, wenn du mich fragst.«
    »Was ich nicht tue.«
    Abu Dun ignorierte auch das. »Wir platzen mitten in einen ausgewachsenen Krieg«, beharrte er. »Und auch wenn die Osmanen inzwischen Zypern und Korsika in ihrer Gewalt haben, ist Venedig noch immer eine der bedeutendsten Seemächte im Mittelmeerraum. Ich möchte nicht in die nächste Runde des Kampfes zwischen Abend-und Morgenland geraten.«
    »Es wäre nicht der erste Krieg, in den wir verstrickt werden«, sagte Andrej.
    »Nicht einmal der erste, den wir selbst angefangen haben«, bestätigte Abu Dun ungerührt. »Aber das meine ich nicht. Wir haben nichts damit zu tun. Es ist nicht unser Krieg. Wir wissen weder, worum es geht, noch, wer ihn begonnen hat. Wenn ich es mir genau überlege, wissen wir nicht einmal, auf welcher Seite wir stehen – geschweige denn, ob es die richtige ist.«
    »Die Seite, die gewinnt, ist immer die richtige«, antwortete Andrej.
    »Ja, weil die Geschichte im Allgemeinen von den Siegern geschrieben wird, ich weiß«, sagte Abu Dun säuerlich, schüttelte aber trotzdem den Kopf. »Das alles gefällt mir nicht. Und dir sollte es auch nicht gefallen. Was ist los mit dir, Hexenmeister?«
    Andrej überlegte, ob er ihm sagen sollte, dass sie sehr wohl auf der richtigen Seite standen: auf der Hasans und damit letztlich auch Abu Duns, um dessen Leben es schließlich ging. Aber das würde Abu Dun nicht nur missfallen, sondern ihm auch Anlass zu einem

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