Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pestmond (German Edition)

Pestmond (German Edition)

Titel: Pestmond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
kurz, bevor er ebenfalls ein Nicken andeutete, den Mann endlich losließ und zurücktrat. Hinter ihm waren Schritte, dann das Rascheln von Stoff zu hören, und dann spürte er, wie ihn etwas Schweres am Kopf traf.
    Dann nichts mehr.

Kapitel 6
    L ange Zeit verbrachte er mit schweren Ketten gebunden in einem dunklen und kalten Raum tief unter der Erde. Vielleicht waren es Stunden gewesen, vielleicht auch Tage, ihm jedoch war es vorgekommen wie Wochen, wenn nicht Ewigkeiten. Man hatte ihm weder Wasser noch Nahrung gebracht, und niemand hatte mit ihm gesprochen oder sich ihm auch nur genähert. Er verfluchte sich, dass er sich wie ein Anfänger hatte übertölpeln lassen.
    Als noch mehr Zeit verging, ohne dass er eine Menschenseele zu Gesicht bekam, begann er sich zu fragen, ob man ihn hier unten angekettet hatte, um ihn sterben zu lassen. Doch es war ihm egal. Sollten sie ihn doch verdursten lassen, sollten sie kommen und ihn erschlagen, es spielte keine Rolle. Sein Herz schlug noch, und sein Körper verlangte nach all den Dingen, die ein Unsterblicher genauso brauchte wie jeder andere, doch innerlich war er bereits tot.
    Zeit verging. Er bekam Durst, der zuerst nur lästig war, dann unangenehm wurde und schließlich quälend. Doch wenn Ali seinen Tod gewollt hätte, dann hätte er längst kurzen Prozess gemacht, und hätte er ihm einen schmerzhaften Tod zugedacht, dann wäre Verdursten nicht qualvoll genug.
    Früher oder später würde er es erfahren, auch wenn die Antwort, wie er fürchtete, ihm nicht gefallen würde.
    Er versuchte zu schlafen, und zu seiner eigenen Überraschung gelang es ihm sogar. Als er erwachte, war er noch durstiger, und seine Handgelenke schmerzten, wo die eisernen Ringe seine Haut blutig gescheuert hatten, ein weiterer Hinweis darauf, wie lange er schon hier angekettet war. Aber es waren nicht die Schmerzen und der Durst, die ihn geweckt hatten, sondern das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Andrej versuchte sich lautlos aufzusetzen, doch das Klirren seiner Kette machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Es war noch immer so dunkel, dass er nicht einmal die Hand vor Augen sehen konnte, aber ein knappes Dutzend Schritte entfernt war nun eine rechteckige Tür erschienen, hinter der ein blasses Licht flackerte – eine einzelne Kerze oder eine weit entfernte Fackel. Die beiden tiefenlosen Schatten, die sich davor abhoben, hatten keine Gesichter, aber Andrej erkannte sie trotzdem als Ali und einen seiner beiden schwarz maskierten Krieger.
    »Seid ihr gekommen, um es endlich zu Ende zu bringen?«, krächzte er. Sein Hals war so trocken, dass sich die Worte ätzenden Salzkristallen gleich in seine Kehle brannten.
    »Wenn ich das wollte, könntest du diese Frage schon nicht mehr stellen«, antwortete der größere der beiden Schatten mit Alis Stimme. »Und auch wenn es dir wie eine dumme Frage vorkommen mag, aber wie fühlst du dich?«
    »Ich kann mich kaum noch erinnern, wann es mir einmal besser gegangen wäre.« Als Andrej aufstehen wollte, merkte er, dass die Kette so kurz war, dass er nur in die Hocke gehen konnte. »Ein Schluck Wasser wäre nicht schlecht.«
    »Gibst du mir dein Wort, nichts Unüberlegtes zu tun, wenn ich dich losbinden lasse?«, fragte Ali.
    »Keine Sorge. Ich habe mir schon recht gut überlegt, was ich tun werde«, erwiderte Andrej.
    Ali schnalzte ärgerlich mit der Zunge. »Keine Spielchen, Andrej. Ich kann auch gehen und nach einer Woche wiederkommen, um dieselbe Frage zu stellen.«
    »Spar dir den Weg! Geht es Ayla und Hamed gut?«
    »Ja.«
    »Dann komme ich mit.«
    Erstaunt stellte er fest, dass Ali diese Antwort zu genügen schien, denn er bedeutete dem Mann neben sich unverzüglich, ihn loszumachen. Vielleicht war es sein Begriff von Ehre, der ihn dazu bewog, seinem Wort zu vertrauen. Aber wahrscheinlicher war wohl eher, dass er aus ihrem ersten Treffen gelernt und gewisse Vorsichtsmaßnahmen ergriffen hatte.
    Einen Moment lang überlegte Andrej, sie auf die Probe zu stellen, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Er war nicht in der Verfassung für einen Kampf, und Ali und seine Krieger würden gewiss nicht den Fehler begehen, ihn ein zweites Mal zu unterschätzen.
    Er hob die aneinandergebundenen Hände und wartete darauf, dass die eisernen Ringe gelöst wurden, doch der Mann zog lediglich den Splint heraus, der sie mit der Kette verband, sodass er aufstehen konnte. Seine Muskeln waren so verkrampft, dass ihm jede Bewegung ein schmerzerfülltes Zischen

Weitere Kostenlose Bücher