Pestmond (German Edition)

abnötigte.
    »Komm!«, sagte Ali.
    Ganz wie Andrej es erwartet hatte, standen draußen auf dem Gang weitere Krieger: zwei, die er sehen konnte, und mindestens zwei weitere, die er nur hörte. Sie alle trugen genau wie der Mann, der ihn losgemacht hatte, Masken und Dornenhandschuhe. Ali hatte offensichtlich Respekt vor ihm.
    Nachdem sie ein paar Schritte gegangen waren, fiel ihm das Gehen leichter, auch wenn seine Muskeln, die sich so vertrocknet anfühlten, als könnten sie nie wieder geschmeidig werden, noch immer gegen jede Anstrengung protestierten.
    »Dort entlang!« Ali deutete unnötigerweise nach links und damit in die einzige Richtung, in die der Gang weiterführte. So schnell er konnte (was nicht besonders schnell war), humpelte Andrej voraus. Der Gang war schmal, aber so hoch, als wäre er für Riesen gemacht, und zum Teil aus groben Steinquadern gebaut, zum Teil aber auch aus dem natürlich gewachsenen Fels des Untergrunds herausgemeißelt. Hier und da glaubte er Reste uralter Malereien oder Reliefarbeiten zu entdecken, aber das Licht war zu schlecht, um Einzelheiten zu erkennen. Dennoch hatte er das verwirrende Gefühl, schon einmal hier gewesen zu sein.
    Als sie die schmale Treppe emporstiegen, zu der der Korridor schließlich führte, wusste er auch, warum.
    Es war die Ruine, in der er Abu Dun beerdigt hatte. Durch die schmalen Spalten in der Seitenwand fiel flirrendes Sonnenlicht, und je weiter sie nach oben kamen, desto wärmer wurde es. Doch das Vorwärtskommen gestaltete sich immer schwieriger, denn das Gebäude war nicht nur äußerlich fast bis zur Unkenntlichkeit zerstört, sondern auch innen wenig mehr als eine Ruine. Sie mussten über heruntergestürzte Steinquader oder Trümmer steigen oder sich durch schmale Lücken quetschen, und Andrej hatte das sichere Gefühl, dass sie alles andere als den direkten Weg nahmen, wohin auch immer.
    Nach einer Weile war der Weg weniger beschwerlich, aber es wurde auch wieder dunkler, sodass einer der Männer eine Fackel entzündete, deren flackernder Schein die Schatten zum Leben erweckte und ihre Umgebung in ein düster-rotes Licht tauchte, das zu Andrejs Stimmung passte. Dieser Teil der Ruine befand sich in keinem viel besseren Zustand als der Rest – viele Gänge waren verschüttet, Wände und Decken geborsten und Treppen eingestürzt, sodass sie immer wieder zu großen Umwegen gezwungen waren, und die meisten Türen, an denen sie vorbeikamen, führten entweder ins Nichts oder in mit Schutt und Steinbrocken gefüllte Räume. Dennoch war es unübersehbar, dass sich jemand große Mühe gegeben hatte, die schlimmsten Spuren der Verwüstung zu beseitigen und einen Pfad freizuräumen, auf dem nicht jeder Schritt lebensgefährlich war. Einmal kamen sie an einer Stelle vorbei, an der die Decke nachträglich mit – wenig vertrauenerweckenden – Balken abgestützt war. Schließlich sahen sie wieder helleres Licht am Ende des Ganges.
    »Was ist das hier?«, fragte er. »Oder was war es einmal?«
    »Ein sehr bedeutsamer Ort«, antwortete Ali. »Deine Fragen werden beantwortet. Gleich.« Er wies nach vorne. An der Hand trug er nun ebenfalls einen der gefährlichen Stachelhandschuhe. Andrej erblickte einen großen Durchgang, der vor langer Zeit einmal von einer zweiflügeligen Tür verschlossen gewesen war, deren vermoderte Überreste nun zwischen den anderen Trümmern auf dem Boden lagen – und das wohl schon seit Jahrhunderten.
    Der Raum dahinter war von zwei großen metallenen Feuerschalen und einem halben Dutzend Fackeln so hell erleuchtet, dass er im ersten Moment blinzeln musste. Dennoch erkannte er, dass sie sich in einer ausgedehnten Halle befanden, der man selbst jetzt noch ansah, wie prachtvoll sie einst gewesen sein musste. Vielleicht so etwas wie ein Thronsaal, zu einer Zeit, als diese Ruine noch ein von Menschen bewohntes Gebäude gewesen war. Die Bilder und Hieroglyphen an den Wänden waren ebenso verfallen und nahezu unkenntlich wie überall sonst auch, und die gegenüberliegende Wand wurde von einem komplizierten Gespinst aus Stützbalken daran gehindert, einfach nach innen zu kippen und den Raum unter sich zu begraben – genau wie ein beunruhigend großer Teil der Decke, die sich gute zwanzig Fuß über ihren Köpfen erhob. Auch die wenigen erhaltenen Möbel zeugten noch von ihrer einstigen Pracht.
    Ein weiteres halbes Dutzend Krieger erwartete sie, ebenso gekleidet wie die Männer, die ihn hierherauf eskortiert hatten. Eine deutlich kleinere