Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Creme aus einem Topf betupfte. Offensichtlich hatte sich das Missverständnis wegen des Briefs der Countess rasch aufgeklärt. Anne erwähnte es nicht, aber ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass sie über mich geredet hatten. Ich konnte kaum glauben, wie vertraut die beiden in so kurzer Zeit geworden waren, so vertraut, dass ich mit offenem Mund zuhörte und Dinge über Lucy Hay erfuhr, die ich nicht gewusst hatte. Ehe ich geboren wurde – diesen Umstand betonte Anne ausdrücklich –, war Lucy Hay ernstlich erkrankt und verlor ihr erstes und einziges Kind, das tot geboren wurde. Dann starb ihr Gatte. Es war eine so schreckliche Tragödie, sagte Anne, deren Hass auf Lucy Hay sich in der Zeit, die es brauchte, eine Tasse Schokolade zu trinken, in Bewunderung verwandelt hatte.
»Aber danach war sie eine gemachte Frau.«
»Tatsächlich? Wie das?«
Anne rang buchstäblich die Hände, verdrehte ihre schmalen Finger. Sie sah ein wenig lächerlich aus mit dem Fleck Cochenille auf der einen Wange, wie ein halbgeschminkter Schauspieler aus Bankside.
»Hast du von Sir Thomas Moore gehört?«
»Natürlich.«
»Er sagt, wenn der weibliche Ackerboden mehr Unkraut als Früchte hervorbringt, sollte er kult… kulti…«
»Kultiviert?«
»Danke. Sollte er durch Bildung kultiviert werden.«
Ein wenig Schreibenlernen war eine Sache, doch das hörte sich gar nicht gut an, auch nicht, als sie eine kurze Periode im letzten Jahrhundert erwähnte, in der Frauen wie Queen Elisabeth und Lady Jane Grey ebenso vertraut mit den Klassikern waren wie Männer. Doch was sie als Nächstes sagte, schockierte mich aufrichtig.
»Lucy«, sagte sie, »riet mir, nicht mehr als vier Kinder zu bekommen.«
Ich erklärte ihr, das sei widernatürlicher Unsinn. Die typische Bemerkung einer Frau, die ihre natürliche Funktion nicht erfüllen kann. Sie erwiderte, dass Frauen dadurch eher die Möglichkeit bekämen, den Männern zu helfen, da Frauen einen kühleren Kopf bewahrten als Männer, und dass Männer gelegentlich das Urteil einer Frau bräuchten.
»Urteil? Ach Anne, ich liebe dich, nicht dein Urteil. Welche Urteile solltest du schon fällen können? Ich weiß nicht, welches Spiel sie treibt, aber sie ist eine Intrigantin, eine Wichtigtuerin! Du darfst nicht auf sie hören! Hast du mich verstanden?«
Rebellisch biss sie sich auf die Lippen. »Bist du eifersüchtig, weil ich sie besucht habe?«
»Eifersüchtig? Was für ein Unsinn. Nein, natürlich bin ich nicht eifersüchtig.«
Sie ließ den Kopf sinken und zupfte eine Weile schweigend an ihrem Kleid herum. Dann seufzte sie und warf mir einen resignierten, demütig bittenden Blick zu. Normalerweise zog ich frische Lebenskraft aus unserer Liebe und dem Unsinn, den wir miteinander redeten, gleich einer Biene, die Nektar aus der Blüte trinkt. Aber diese Unterhaltung verwirrte und ermüdete mich. Ich ging zum Fenster. Es begann schon wieder zu schneien. Sarah fütterte das Rotkehlchen, von dem sie behauptete, es sei seit Jahren dasselbe.
»Sie sagte auch, du seist einer der intelligentesten und fähigsten Männer, die sie je kennengelernt hat.«
Ich wirbelte herum, starrte sie misstrauisch an, aber ihre Miene verriet Eifer und Ernsthaftigkeit, ohne die Spur eines Lächelns. Ich konnte nicht anders, als diesen Eifer aufzugreifen. »Wirklich? Das hat sie gesagt?«
»Ja, und das bist du auch, das weißt du genau, Affe!« Sie stürzte durch das Zimmer auf mich zu und warf sich mir mit glänzenden Augen zu Füßen. Ich zog sie hoch, um sie zu küssen, doch sie entwand sich mir. »Warte! Bleib hier! Rühr dich nicht! Und nicht gucken!«
Sie eilte zu dem alten Spiegel, und während sie mir den Rücken zukehrte, raschelte und knisterte es geheimnisvoll, wobei sie immer wieder in den Spiegel blickte.
»Du mogelst! Du guckst ja doch!«
Ich wandte mich ab und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Das war die Form von Kabbelei, die ich bevorzugte. In der reizenden Art und Weise, wie Frauen eine Mode aufnehmen und sie im nächsten Moment wieder verwerfen, schien sie bereits vergessen zu haben, dass sie Latein und Griechisch lernen wollte. Es wurde ganz still, und ich hörte nur noch ihren Atem und wie sie leise vor sich hin murmelte. Dann raschelten ihre Röcke.
»Jetzt darfst du schauen«, befahl sie.
Sie hatte sich in eine Hofdame verwandelt, die Lippen gerötet, die Wangen rosig, die Augenbrauen geschwärzt, wodurch das erstaunliche, eindringliche Blau ihrer Augen noch betont wurde. Doch
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