Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Tuch ihrer Mutter fest um ihre Schultern, während sie mit Sarah um höchst alltägliche Sorgen stritt. Ich liebte sie und sog hungrig jedes Wort, jede Bewegung auf.
»Biiittte Sarah. Nur einen Eimer.«
»Master hat gesagt, keine Kohlen mehr bis es dunkel wird.«
Schmeichlerisch streichelte Anne ihre Wange. »Fühl meine Hand. Sie ist halb gefroren.«
»Wisst Ihr nicht, dass es eine Blockade in Newcastle gibt?«
»Es wird dir noch leid tun, wenn ich mich zu Tode friere.« Sie ging hinein und schmetterte die Tür hinter sich zu.
»Leid tun? Es wäre eine Befreiung!«, murmelte Sarah und kippte die Nachttöpfe aus, als ihr Blick auf mich fiel.
Darum also war die Luft so sauber. Nur wenige Schornsteine rauchten. Ich wandte mich ab. Ich trug einen ramponierten breitrandigen Hut, den ich Gott weiß wo aufgegabelt hatte, und obwohl meine Kniehosen und das Wams noch dieselben waren, waren sie nur noch gut genug, um auf dem Müllhaufen zu landen. Was von der Sohle meines einen Stiefels übrig geblieben war, wurde lediglich durch ein Stück Schnur am oberen Teil gehalten.
»Noch ein dreckiger Lausebengel, der behauptet, aus dem Krieg zu kommen«, grummelte Sarah vor sich hin, doch sie sprach absichtlich laut genug, damit ich es hören konnte.
Ich konnte keinen Augenblick länger bleiben. Konnte keinem von ihnen unter die Augen treten. Ich brauchte die Sicherheit und Anonymität der Straße.
»Halt! Hierher! Du da!« Sie kam hinter mir her, nestelte in ihrer Schürzentasche herum, in der sie stets ein paar trockene Brotkanten für Bettler hatte. Sie hielt mir den Kanten hin und ließ ihn dann zusammen mit dem Eimer fallen. »Der Herr sei gepriesen! Es ist Tom! Tom!« Sie umarmte mich, doch dann zuckte sie zurück. »Dein Gesicht. Was um Himmels willen hast du bloß angestellt? Du stinkst ja wie der Abfallhaufen.« Dann umarmte sie mich erneut mit glänzenden Augen. »Es ist Tom! Tom!«
Das ganze Haus schien in den Hof einzufallen, so viele Türen wurden aufgerissen und so viele Rufe ertönten. Die Druckerpresse blieb mitten in der Umdrehung stehen. Ein Fenster flog auf, und Mrs Black lehnte sich heraus.
»O mein Gott! Und ich bin gar nicht richtig angekleidet, um ihn zu empfangen! Jane!«
Anne rannte heraus, das Tuch flog ihr von den Schultern. »Tom … Tom … du bist zurückgekommen … du bist …« Sie blieb stehen und schlug sich die Hände vor den Mund, um einen Schrei zu ersticken. »Einen Moment lang glaubte ich, du wärst Eaton.«
»Eaton ist tot.«
»Gott sei gedankt.«
»Gott sei seiner Seele gnädig«, sagte ich, mit dem ersten Ausbruch von Leidenschaft, der seit langer Zeit in mir aufstieg.
»Was ist los, Tom?«, flüsterte sie. »Was ist passiert?«
Ich wollte immer noch davonlaufen, und zugleich sehnte ich mich danach, sie in den Arm zu nehmen. Wie konnte das sein? »Ich weiß nicht«, sagte ich. »Ich weiß es nicht.«
Sie zog mich an sich und küsste mich, und dann wurden wir bestürmt. Mr Black packte mich bei der Hand, zog mich hinein und rief Sarah zu, sie solle Kohlen aufs Feuer werfen. Merkte sie denn nicht, wie kalt es war? Seine Stimme war immer noch ein wenig verwaschen, hatte indes fast wieder den alten tiefen Klang. Er glaubte, es sei ein großartiger Sieg gewesen. War es wahr, dass der König um Frieden bat? Denn er hatte gerade etwas in der Druckerpresse, das davon abhing. Ich versuchte, etwas zu sagen, während er mich in seinen Sessel vor dem Kamin drückte, den Sarah hastig säuberte und ein neues Feuer darin aufbaute.
»Die Presse muss geölt werden, Sir«, sagte ich.
Er lachte und schlug mir auf die Schulter. »Habt ihr das gehört? Einmal Drucker, immer Drucker. Nehemiah!«, rief er, und ein Lehrjunge, genauso trotzig und tintenverschmiert, wie ich es gewesen war, blickte von der Werkstatt herüber. »Halte an deiner Berufung fest, dann wirst du vielleicht einmal wie Tom.«
Aus Nehemiahs Gesichtsausdruck schloss ich, dass es das Letzte war, was er wollte, so ein schmuddeliger Kerl zu werden wie ich.
»Mach schon! Du hast ihn gehört! Öle die Presse!«, bellte Mr Black, genau wie er mich früher angebrüllt hatte. »Anne! Hör auf, seine Narbe anzustarren – es ist ein Ehrenzeichen! Hol Wein!«
Mrs Black hatte ihren Auftritt, fegte auf mich zu in der festen Absicht, mich zu umarmen, während ich aufstand. Als sie meinen Geruch wahrnahm, der in der Hitze des Feuers noch beißender wurde, blieb sie stehen, streckte zunächst ihre Hand, dann ihre Fingerspitzen
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