Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)
das war es nicht, das mich so reagieren ließ, wie ich es tat. Sie hatte die obersten Knöpfe ihres Kleides geöffnet und den Kragen nach unten geklappt. Auf ihrer Brust ruhte der Anhänger. Es schien den ganzen Raum in ein giftiges Licht zu tauchen. Die bösartigen Augen des Falken starrten mich aus dem emaillierten Nest an.
Ich stürzte mich auf sie. »Nimm ihn ab! Nimm das Ding weg!« Ich zerrte an dem Anhänger. Sie schrie, als die Kette in ihren Hals schnitt. Der Verschluss sprang auf, und ich schleuderte das Ding durch die Kammer. Der Vogel schien zu flattern und mich anzuzischen. »Du hast in meinem Bündel gewühlt!«, rief ich. »Mach das nie wieder! Fass das Ding nie wieder an!«
Ihre Mutter tauchte in der Tür auf, und Anne flüchtete sich schluchzend in ihre Arme. »Ich dachte, er würde mich umbringen! Ich dachte wirklich, er würde mich umbringen!«
42. Kapitel
Lord Stonehouse war geübt im Trauern. Es war sein natürlicher Geisteszustand. Meine Mutter musste das instinktiv gewusst haben, als sie die Kleider für die Beerdigung ihres Vaters ausgewählt hatte. Als ich an jenem Morgen zur Queen Street ging, dachte ich, dass sie diesen Moment geschätzt hätte. Ich hatte das Gefühl, sie genau zu kennen, ihr näher zu stehen als jedem lebenden Menschen, einschließlich Anne.
Richard Stonehouse wurde immer noch vermisst. Das große Stadthaus war nicht in Trauer, befand sich jedoch in einer Art Vorstufe davon. Die Vorhänge waren halb heruntergelassen, und in der stillen Halle mit dem schwarz-weißen Schachbrettmuster herrschte Grabesstille, während die griechischen Büsten und die Lakaien mich misstrauisch musterten. Sarah hatte ein altes Wams notdürftig geflickt und einen neuen Kragen an ein Hemd genäht, das sie unter der Pumpe beinahe weiß geschlagen hatte. Ich trug meinen Soldatentornister. Die Lakaien durchsuchten den Tornister nach Schießpulver, wobei der Inhalt, wie ich fand, auch so explosiv genug war.
»Name?«
»Thomas Neave.«
»Angelegenheit?«
»Ich habe eine Mission für Lord Stonehouse zu Ende geführt.«
Lord Stonehouse befand sich in einer Besprechung und schloss die Angelegenheit so peinlich genau wie üblich ab. Als ich schließlich in sein Studierzimmer geführt wurde, blieb ich, wie beim letzten Mal, wartend in einiger Entfernung zum Schreibtisch stehen, während der einsame Zeiger der Uhr weitersprang. Mr Cole warf Sand auf seine Unterschrift, siegelte das Dokument, verbeugte sich und ging hinaus. Lord Stonehouse trug Augengläser zum Lesen, die ich nie zuvor gesehen hatte. Er legte sie in ein Kästchen und winkte mich heran.
»Hast du ihn?«
Es war, als spräche er von einer Allerweltssendung eines Gewährsmannes aus Oxford. Dennoch lag etwas Beruhigendes in seinem knappen, müden Ton, in seiner Distanziertheit, seiner Kühle, was ich erst allmählich begriff, vor allem durch das, was er nicht sagte. Er erwähnte, wie man vielleicht hätte erwarten können, Edgehill oder »unseren großartigen Sieg«, wie manche ihn nannten, mit keinem Wort. Er wusste Bescheid. Er begriff. Zumindest eine Verbindung gab es also zwischen uns.
Als ich den Anhänger aus meinem Bündel nahm, kam Leben in ihn, und er schnappte danach wie ein Falke nach der Beute. Der Anhänger schien diesen düsteren Raum gänzlich mit Licht zu erfüllen, das von dem polierten Eichenholz des Schreibtischs reflektiert wurde und in Lord Stonehouse’ schwarzen Augen glänzte. Er stieß einen tiefen Seufzer aus, streichelte den Falken, als wollte er seine Federn glätten. Das Licht schien erst zu ersterben, als er bemerkte, dass ich noch zwei weitere Gegenstände auf seinen Schreibtisch gelegt hatte: einen kleinen Stapel Briefe und Richards zerfetzten Umhang.
Langsam legte er den Anhänger fort und griff nach dem Umhang, schob seine Hand durch den Riss darin, starrte hinunter auf die dunkelbraunen Flecken an den Rändern, dann auf mich, ebenso bösartig wie der Falke, der jetzt auf dem Schmuckstück dahinzudösen schien.
Ich erzählte ihm, wie Richard sich mir entgegengestellt und Luke getötet hatte, um anschließend davonzureiten. Wie ich ihm nachgerannt sei, den Abzug gedrückt hatte, mich jedoch an nichts weiter erinnern konnte, bis ich wieder in London war. Erst nach und nach war es mir wieder eingefallen, was in jener Nacht geschehen war, bruchstückhaft, unvollständig, in albtraumhaften Erinnerungsblitzen.
Lord Stonehouse streichelte den zerfetzten Umhang, sein skeptischer Blick ließ nie von mir
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