Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)
militärische Ausbildung wieder aufnahm, wurde ich kräftiger und stärker, und meine Angst ließ nach.
Von Matthew hörte ich nichts, und ich kümmerte mich auch nicht mehr darum, meinen richtigen Vater zu finden. Dieses Zwinkern, das Mr Black mir geschenkt hatte, und die Lesung aus dem Lukasevangelium waren ebenso gut, nein, tausendmal besser als jedes Blut, das irgendein Vater seinem Sohn mitgeben könnte. Anne fuhr mit ihrer Mission fort, Mr Black zu helfen, das Schreiben neu zu erlernen, und es sich währenddessen selbst anzueignen. Manchmal gesellte ich mich hinzu, doch ich spürte, dass ich die Atmosphäre zwischen ihnen verdarb, denn es war unmöglich, dass Anne und ich unsere Gefühle füreinander verbargen. Eines Tages stahl ich mir einen Kuss. Ich sah, wie Mr Black mich mit seinem guten Auge unnachgiebig anstarrte und zog mich hastig zurück, seinen Zorn fürchtend – bis er mich, noch einmal, mit diesem unglaublichen Zwinkern bedachte.
Während ich Mr Black immer näher kam und er sich immer stärker auf mich verließ, sprach Mrs Black kaum mit mir. Sie sagte, sie habe nichts davon gewusst, dass George für den König gedruckt habe – und wenn sie es gewusst hätte, wäre sie vermutlich insgeheim stolz darauf gewesen. Politik lehnte sie ab, sie sei nichts anderes als ein in schöne Worte gekleideter Wirtshausstreit, der niemals das Essen auf den Tisch brächte. Für sie war die Sache klar. Ihre Tochter hatte kurz davor gestanden, einen Mann zu heiraten, der eine Stütze der Gemeinde war und mit einem der reichsten Männer der Stadt Geschäfte gemacht hatte. Jetzt war alles verloren. Und wofür? Für einen schmutzigen Lehrjungen mit großen Füßen, der jede Menge Stiefel durchgelaufen und ihren armen kranken Gatten verhext hatte, was der Sterndeuter ihr ohne jeden Zweifel bestätigt hatte. Der verlorene Sohn? Das war fürwahr ein guter Vergleich! War er nicht auch ein Verschwender gewesen? Ein Tagedieb? Und dieser hier war es auch. Außer, dass da nichts war, das er hätte verschwenden können.
In diesem Punkt hatte Mrs Black recht. Es gab kein Geld. Mr Black, der mir lange und mühsam Anweisungen gab, wie ich ein Geschäft zu führen hatte, das nicht länger existierte, bestand darauf, dass es noch genügend Geldmittel gäbe. Die Geldkassette, in der er das Geld für das Geschäft aufbewahrt hatte, war jedoch leer. Ich verdächtigte George, es genommen zu haben, doch Mr Black war so verwirrt, dass ich mir nicht sicher sein konnte, wie viel Geld tatsächlich – wenn überhaupt – darin gewesen war. Alles, was wir zum Leben hatten, waren die Wertmarken aus Blei und Zinn, welche die Händler herausgaben, da es zu wenige kleine Münzen gab. Sie waren einen halben Penny oder einen Farthing wert. Sarah bewahrte sie in kleinen Lederbeuteln für Schlachter, Bäcker und Milchladen auf. Es ertönte jedes Mal ein Triumphschrei, wenn jemand eine vergessene Marke in einer Schublade fand, und wenn in einem Krug plötzlich ein kleiner Vorrat auftauchte, war es ein Festtag für uns.
Als die letzten Wertmarken uns nur noch Roggenbrot ohne Käse bescherten, erinnerte ich mich daran, wozu Mr Ink mich an jenem turbulenten Tag drängen wollte, als der König versucht hatte, das Recht des Parlaments zu verletzen. Ich schrieb mein erstes Flugblatt und lieh mir von Will Geld für die Tinte und das Papier, um es zu drucken. Mit dem zärtlichen Stolz eines Vaters für sein erstes Kind betrachtete ich den Probeabzug:
PRIVILEG!
Wie Mr PYM & das Parlament
gerettet wurden.
Der geheimnisvolle Bote offenbart,
wie die Pläne der bösartigen Ratgeber des Königs vereitelt wurden.
Es gab einen solchen Ansturm auf das Flugblatt, dass ich die abgenutzten Typen ersetzen musste. Der Erfolg zog weitere Geschäfte nach sich, und ich wurde umworben, nicht als Edelmann, sondern als Flugblattschreiber. Umworben und geschmäht; denn der Flugblattschreiber wurde als der niederste aller Schreiber angesehen, aufrührerisch, liederlich, noch schlimmer gar als ein Stückeschreiber, eine Hure der Druckerpresse, an einem Tag gekauft, am anderen fortgeworfen. Gelegentlich wurde ich meine Tätigkeit leid, sie widerte mich an, dann schrieb ich ein paar Gedichte. Aber als diese sich noch schlechter verkauften als moralische Traktate, kehrte ich zu meinen Geschichten zurück und zog es vor, gelesen und geschmäht als überhaupt nicht gelesen zu werden.
Mrs Black jedoch begann, mich freundlicher anzusehen. Sobald mehr Geld da war,
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