Peter Hoeg
eine Miene zu verziehen.
Die roten Nägel stellen ihren Nachfolger vor. Ein junger Mann, der denselben oberflächlichen Charme und dieselbe Höflichkeit besitzt wie sie.
»Ladies and Gentlemen. Have a new dealer. Thank you.«
»Hast du Lust zu spielen, Schätzchen?«
Er hält einen Stapel Jetons zwischen Daumen und Zeigefinger.
Ich denke an die 120.000, die der Schlachtermeister verloren hat. Für einen von uns gewöhnlichen Dänen ein Nettojahresgehalt. Der fünffache Jahreslohn für einen von uns gewöhnlichen Polareskimos. Noch nie in meinem Leben habe ich eine solche Geringschätzung des Geldes erlebt.
»Spül sie im Klo runter«, sage ich. »Dort kann man sich wenigstens über das Rauschen freuen.«
Er zuckt die Achseln. Kapitän Lukas hebt zum erstenmal seine Katzenaugen vom Filz und schaut uns an. Er kratzt seine Jetons zusammen, steht auf und geht.
Wir folgen ihm langsam.
»Tust du das hier meinetwegen?« frage ich ihn.
Er nimmt meinen Arm, und jetzt ist sein Gesicht ernst.
»Ich mag dich, Schätzchen. Aber ich liebe meine Frau. Das hier, das tue ich wegen Føjl.«
Er denkt nach.
»Von mir gibt's nicht viel Gutes zu sagen. Ich trinke zuviel, ich rauche zuviel, ich arbeite zuviel. Ich vernachlässige meine Familie. Gestern, als ich in der Badewanne lag, kam mein Ältester, stellte sich neben mich und sagte: ›Vati, wo wohnst du eigentlich?‹ Mein Leben ist nicht viel wert. Doch was es wert ist, das schulde ich dem kleinen Føjl.«
Kapitän Lukas wartet in einer kleinen Glasveranda, die auf das Wasser hinausragt. Ich sinke auf die Bank an der anderen Seite des Tisches, der Mechaniker materialisiert sich von irgendwoher aus dem Blauen und rutscht neben mich. Lander bleibt stehen und lehnt sich an den Tisch. Hinter ihm schließt eine weibliche Bedienung die Schiebetür. Wir sind allein in einer kleinen Glasschachtel, die auf dem Öresund zu treiben scheint. Lukas hat uns die Seite zugekehrt. Vor ihm steht eine Tasse mit einem schwarzen Fluidum, das konzentriert nach Kaffee riecht. Er raucht eine Zigarette nach der anderen. Nicht einmal schaut er uns an. Die Worte tropfen bitter und widerwillig aus ihm heraus wie der Saft einer unreifen Zitrone. Er hat einen leichten Akzent. Ich tippe auf Polen.
»Sie kommen hier zu mir, eines Nachts, im Winter, vielleicht Ende November. Ein Mann und eine Frau. Sie fragen, wie ich es im März mit dem Meer nördlich von Godthåb habe. Wie alle anderen auch, sage ich. Verdammt miserabel. Wir trennen uns. Vorige Woche kommen sie wieder. Jetzt haben sich meine Umstände geändert. Sie fragen mich erneut. Ich versuche ihnen vom Packeis zu erzählen. Vom ›Friedhof der Eisberge‹. Von den Gewässern an der Küste, die so voller Treibeis, kalbender Eisberge und Eislawinen sind, die von den Gletschern direkt ins Meer rutschen, daß selbst der Atomeisbrecher ›Northwind‹ der Amerikaner von der Thulebase sich nur alle drei oder vier Winter durchtraut. Sie hören nicht zu. Sie wissen das alles schon. Was ich glaube schaffen zu können, fragen sie. Was glaubt Ihr Scheckbuch schaffen zu können, sage ich.«
»Irgendein Name, eine Firma?«
»Nur das Schiff. Ein Kümo. 4.000 Tonnen. Kronos. Liegt im Südhafen. Sie haben es gekauft und umbauen lassen. Es ist gerade von der Werft gekommen.«
»Besatzung?«
»Zehn Mann, um die ich mich kümmere.«
»Fracht?«
Er sieht Lander an. Der Schiffsmakler rührt sich nicht. Die Situation ist unklar. Bis jetzt habe ich geglaubt, daß er mir das erzählt, weil Lander ihn unter Druck gesetzt hat. Jetzt, wo ich ihn von nahem erlebe, lasse ich den Gedanken fallen. Lukas nimmt von niemandem Befehle entgegen. Es sei denn, von seinem inneren Vogel.
»Ich kenne die Ladung nicht.«
An Selbsthaß grenzende Bitterkeit läßt ihn einen Augenblick hin und her schwanken.
»Ausrüstung?«
Es ist der Mechaniker, der plötzlich gesprochen hat.
Er wartet lange mit der Antwort.
»Ein LMC«, sagt er. »Ich habe einen ausrangierten von der Marine für sie gekauft.«
Er drückt seine Zigarette im Kaffee aus.
»Die Werft hat das Schiff mit großen Ladebäumen ausgerüstet. Mit einem Kran. Der vordere Laderaum ist besonders verstärkt worden.«
Er steht auf. Ich gehe ihm nach. Ich will ihn außer Hörweite haben, doch der Glaskäfig ist so klein, daß wir sofort an der Wand sind. Wir stehen so dicht am Glas, daß unser Atem weiße, flüchtige Inseln absetzt.
»Kann ich an Bord kommen?«
Er denkt nach. Als er antwortet, begreife ich, daß
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