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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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Vorwand von Filmaufnahmen zur Unterstützung von Hörbingers Thuletheorie veranstalteten sie zwei Expeditionen nach Grönland. In Wirklichkeit wollten sie insbesondere die Möglichkeit einer Besetzung der beiden Kryolithminen untersuchen, um sich die für die Flugzeugindustrie so entscheidende Aluminiumproduktion zu sichern. Sie unternahmen auch Vermessungen für die Anlage von Flugbasen, die bei einer eventuellen Invasion der USA als Stützpunkte dienen konnten.«
    »War Loyen Nazi?«
    »Loyen war und ist vom Ruhm besessen, nicht von Politik.«
    »Was hat er in Grönland gefunden, Ravn?«
    Er schüttelt den Kopf.
    »Das weiß niemand. Schlagen Sie sich das aus dem Kopf.«
    Jetzt sieht er mich an.
    »Gehen Sie zu einer guten Freundin. Finden Sie eine plausible Erklärung dafür, daß Sie auf dem Schiff waren. Wenden Sie sich danach selber an die Polizei. Nehmen Sie sich einen guten Anwalt. Dann sind Sie am nächsten Tag wieder auf freiem Fuß. Vergessen Sie den Rest.«
    Er reicht eine Hand nach hinten. Auf der Handfläche liegt ein Kassettenband.
    »Ich habe es aus Ihrer Wohnung genommen. Um Sie bei einer Durchsuchung zu sichern.«
    Ich greife danach, aber er läßt es wieder verschwinden.
    »Warum tun Sie das alles, Ravn?«
    Er schaut auf die rotierenden Räder des Automaten.
    »Sagen wir, daß ich unzulänglich untersuchte Todesfälle von kleinen Kindern nicht mag.«
    Ich warte, doch es kommt nichts mehr. Ich drehe mich um und gehe. In diesem Augenblick gewinnt er. Wie ein metallisches Erbrechen gibt der Roboter mit spuckendem Rasseln, das hinter mir andauert, einen Schwall von Münzen von sich.
     
    An der Garderobe hole ich meinen Mantel. Meine Schläfen pochen. Es kommt mir vor, als würden mich alle anstarren. Ich schaue mich nach dem Mechaniker um. Ich hoffe, daß er eine Idee hat. Die meisten Männer wissen ja, wie man schwänzt, sich entzieht, abhaut. Doch das Vestibül ist leer. Abgesehen von mir und einer Garderobenfrau, die ernster aussieht als nötig, wenn man bedenkt, daß es ihr eigentlich Spaß machen müßte, fünfzig Kronen dafür nehmen zu dürfen, daß sie die Mäntel anderer Leute auf einen Bügel hängt. In diesem Moment kommt das Lachen. Laut, erschütternd, sonor. Es geht direkt in die Trompete über, ein wilder, klirrender, blökender Ansatz, der sofort in eine leisere, besser zu diesem Ort passende Tonlage abfällt. Doch da habe ich den Ton bereits erkannt.
    Mir bleibt sehr wenig Zeit. Ich bahne mir einen Weg zwischen den Tischen hindurch und gehe quer über die leere Tanzfläche. Die drei weißen Musiker hinter dem Trompeter tragen hellgelbe Smokingjacken und haben Gesichter wie Mehlklöße. Er ist im Frack. Er ist gigantisch fett, sein Gesicht ist eine schwarze Schweißkugel, die großen, weißen Augen sind blutunterlaufen und quellen hervor, als versuchten sie, den tödlichen Promille im Schädel dahinter zu entkommen. Er sieht aus wie das, was er ist. Ein Koloß auf einem Fundament, das sich bereits aufgelöst hat und verschwunden ist.
    Doch der Musik hat das nichts anhaben können. Selbst jetzt, wo er mit einem Dämpfer spielt, hat sein Instrument einen überwältigend kompakten, goldenen und warmen Klang, und selbst in dem Gedudel, das die drei produzieren, ist sein Ton forschend, tiefsinnig, neckend. Ich stelle mich direkt an den niedrigen Bühnenrand.
    Als sie aufhören, trete ich auf die Bühne. Er lächelt mich an. Doch es ist ein Lächeln ohne Wärme, nur eine versoffene Attitüde gegenüber der Umwelt, die er vermutlich nicht einmal ablegen kann, wenn er schläft. Wenn er jemals schläft. Ich nehme sein Mikrophon und drehe es von uns weg. Hinter uns hören Leute auf zu essen. Die Ober sind in ihren Bewegungen erstarrt.
    »Roy Louber«, sage ich.
    Sein Lächeln wird breiter. Er trinkt aus einem großen Glas, das er neben sich stehen hat.
    »Thule. Sie haben einmal in Thule gespielt.«
    »Thule . . .«
    Er spricht das untersuchend, anerkennend aus, als höre er es zum erstenmal.
    »In Grönland.«
    »Thule«, wiederholter.
    »Auf der amerikanischen Base. Auf der ›Northern Star‹. In welchem Jahr war das?«
    Er lächelt mich an und schüttelt mechanisch seine Trompete. Ich habe wenig Zeit zu verschenken. Ich packe ihn am Revers und ziehe das große Gesicht zu mir herunter.
    »›Mr. P.C.‹. Sie haben ›Mr. P.C.‹ gespielt.«
    »Die sind tot, Darling.«
    Sein Dänisch ist so verquollen, daß es schon fast amerikanisch klingt. »Schon lange. Tot und fort. Mr. P.C. Paul

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