Peter Hoeg
er die Frage mißverstanden hat.
»Mir fehlt noch eine Stewardeß.«
Die Schiebetür gleitet zur Seite. In der Öffnung steht ein Mann mit breiten, grauen Mantelschultern. Einen Gast mit weniger Autorität hätte man gezwungen, den Mantel an der Garderobe zu lassen. Es ist Ravn.
»Fräulein Smilla. Darf ich zwei Worte mit Ihnen wechseln?« Alle sehen ihn an, und er erträgt ihre Blicke, wie vermutlich alles andere, mit steinerner Sanftmütigkeit.
Ich gehe ein paar Schritte hinter ihm. Niemand würde sehen können, daß wir einander kennen. Er führt mich durch einen breiten Flur mit Pflanzen und Arrangements aus Ledersofas. Am Ende ist eine Halle mit Spielautomaten. Es sind alle besetzt.
Ein junger Mann überläßt uns seinen Automaten. Er geht ein Stück weit weg und bleibt stehen. Ravn nimmt eine Papierrolle mit Zwanzigkronenmünzen aus der Manteltasche.
»Es würde mich freuen, wenn ich mein Portemonnaie wiederhaben könnte.« Er hat mir den Rücken zugekehrt und spielt. »Ich habe hier alle zwei Wochen einen Tag Dienst«, sagt er. Seine Stimme dringt durch das Summen der Mechanik gerade noch zu mir durch.
»Ist man uns hierher gefolgt?«
Zuerst antwortet er nicht.
»Sie werden gesucht. Die Mitteilung kam vor einer Viertelstunde.«
Jetzt bin ich an der Reihe.
»Wir haben hier immer ein Dutzend Beamte in Zivil im Dienst. Dazu unsere eigenen Vertreter. Wenn Sie hierbleiben, sind Sie nur noch ein paar Minuten auf freiem Fuß. Wenn Sie sofort gehen, kann ich die Sache vielleicht ein bißchen hinauszögern.«
Ich reiche ihm von hinten sein Portemonnaie und zwei Stück Papier, ein Foto und einen Zeitungsausschnitt. Er nimmt sie entgegen, ohne die Automaten aus den Augen zu lassen, läßt das Portemonnaie in einer Tasche verschwinden und hält die Bilder vor das Gesicht. Als er die Hand wieder zurückstreckt, ist die Fotografie verschwunden. Er schüttelt den Kopf.
»Ich habe getan, was ich kann«, sagt er. »Und was Sie nicht bekommen haben, haben Sie sich selbst genommen. Jetzt muß Schluß sein.«
»Ich will es wissen«, sage ich. »Ich werde alles tun. Und wenn ich Sie an den Nagel verkaufen muß.«
»Den Nagel?«
»Den platten, harten Kriminalbeamten, der immer wieder auftaucht.«
Er lacht zum erstenmal. Dann ist das Lächeln weg und nie dagewesen. Sein Spiegelbild im Glas vor ihm ist ein lebloser Reflex vor den buntschillernden, wild rotierenden Scheiben. Doch als er spricht, weiß ich, daß ich in irgend etwas vorgedrungen bin.
»Chiang Mai, an der Grenze zwischen Kambodscha, Laos und Burma. Das Gebiet wird von feudalen Fürsten beherrscht. Der größte ist Khum Na. Ein ständiges Heer von sechstausend Mann. Büros im gesamten Osten und in den größten westlichen Städten. Regelt den gesamten Welthandel mit Heroin. Tørk Hviid hat in Chiang Mai gearbeitet.«
»Woran?«
»Er ist Mikrobiologe, Spezialist für Strahlungsmutationen. Die gesamte Verarbeitung der Opiummohnpflanzen liegt oben in dem Gebiet. Es heißt, sie haben dort weltweit die modernsten Laboratorien dieser Art. Mitten im Dschungel. Hviid arbeitete an der Bestrahlung von Mohnsamen im Hinblick auf eine Veredlung der Produktion. Gerüchte wollten wissen, daß er eine neue Sorte Majam, gezüchtet hat, die im ersten, eingedickten, jedoch noch nicht kristallisierten Zustand doppelt so stark ist wie irgendein bekanntes Heroin.«
»Was geht Sie das an, Ravn? Interessiert sich die Polizei für Wirtschaftskriminalität auch für Narkotika?«
Er antwortet nicht.
»Katja Claussen?«
»War ursprünglich Antiquitätenhändlerin. Zwischen 1990 und 1991 entdeckte man, daß in den achtziger Jahren der größte Teil des Heroins für die USA und für Europa in Antiquitäten eingeschmuggelt worden war.«
»Seidenfaden?«
»Transport. Ingenieur, Spezialgebiet Transportaufgaben. Arrangierte für verschiedene Firmen den Antiquitätentransport aus dem Osten. War eine Zeitlang für eine regelrechte Luftbrücke von Singapur über Japan in die Schweiz nach Deutschland und Kopenhagen zuständig. Um den riskanten Luftraum über dem Nahen Osten zu vermeiden.«
»Warum sitzen sie nicht im Gefängnis?«
»Die Großen, die Begabten, werden selten bestraft. Jetzt müssen Sie gehen, Fräulein Smilla.«
Ich bleibe stehen.
»Was war die Freia-Film?«
Seine Hand auf dem verchromten Hebel wird still. Dann nickt er müde.
»Eine Filmgesellschaft, die vor und während der Besatzungszeit der Deckmantel für deutsche Nachrichtentätigkeit war. Unter dem
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