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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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Chambers.«
    »In welchem Jahr, in welchem Jahr?«
    Sein Blick ist wie aus Glasaugen, geht betrunken an mir vorbei.
    »Tot und weg. Ich auch, Darling. Gleich. Any time .«
    Er lächelt. Ich lasse ihn los. Er richtet sich auf und schüttelt die Spucke aus der Trompete. Da werde ich sanft auf den Boden hinuntergehoben. Der Mechaniker steht hinter mir.
    »Geh schon mal los, Smilla.«
    Ich gehe los. Er ist wieder weg. Ich gehe geradeaus weiter. Vor mir ist die Tür zum Foyer.
    »Smilla Jaspersen!«
    Wir verbinden Leute mit ihrer Kleidung und mit den Orten, an denen wir sie gesehen haben. Weshalb ich ihn zuerst nicht erkenne. Der dunkelblaue Anzug und der Seidenschlips passen nicht zu dem Gesicht. Dann sehe ich, daß es der Nagel ist. Er hat nichts Lautstarkes an sich, seine Stimme ist leise und fordernd. Genauso diskret und unvermeidlich werden sie mich gleich zum Auto hinausbegleiten. Ich gehe schneller. Ich habe den Verstand abgeschaltet. Von jeder Seite nähert sich mir ein Mann wie der Nagel, jeder eine selbstsichere und insistierende Gestalt.
    Ich gehe hinaus, ins Foyer. Hinter mir knallt die Tür zu. Es ist eine große Tür, auch sie wie eine Safetür, so hoch und schwer, daß es aussieht, als sei sie nur zur Dekoration da. Jetzt klappt sie zu wie der Deckel einer Zigarrenkiste. Der Mechaniker lehnt sich entspannt dagegen. Sie schließt alle Geräusche aus. Ein schwaches Pochen, als jemand dahinter die Schulter dagegen stemmt.
    »Lauf, Smilla«, sagt er. »Lauf jetzt. Lander wartet draußen auf der Straße.«
    Ich sehe mich um. Im Foyer sind keine Gäste. Im Illustrierten-und Zigarettenkiosk gähnt langgezogen ein Portier. Am Informationsschalter ist ein Mädchen vor ihrem PC am Einschlafen. Hinter mir steht ein Mann von zwei Metern und lehnt sich träge an eine Stahltür, die in kleinen Rucken arbeitet. Alles ist ruhig und friedlich im Kasino Öresund. Ein Ort mit Klasse. Mit Stil, kultivierter Spannung und Zerstreuung am grünen Filz. Der Ort, an dem man neue Freunde kennenlernt und alte wiedertrifft.
    Ich laufe. Draußen auf dem Parkplatz bin ich bereits außer Atem.
    »Ihr Wagen, gnädige Frau.«
    Es ist derselbe Wachmann wie bei unserer Ankunft.
    »Ich habe beschlossen, ihn verschrotten zu lassen. Nach dem Blick, den Sie dafür übrig hatten.«
    Es gibt keinen Weg für Fußgänger. Mit der Möglichkeit, daß Gäste zu Fuß ins Kasino kommen könnten, hat man nicht gerechnet. Ich stöckele also die Fahrbahn hinunter, tauche unter den weißen Schranken durch und komme auf die Sundvænge. Hundert Meter weiter hält ein roter Jaguar mit eingeschalteten Rücklichtern.
    Lander sieht mich nicht an, als ich mich in den Wagen setze. Sein Gesicht ist weiß und angespannt.
    Es ist Nacht und friert kräftig. Ich entsinne mich nicht, eine Großstadt schon einmal so im Griff des Frostes gesehen zu haben. Kopenhagen bekommt etwas Wehrloses und Ohnmächtiges, als bahne sich eine neue Eiszeit an.
    »Was ist ein LMC?«
    Er fährt steif und langsam, er ist die weiße Kristallhaut, die die Kälte über den Asphalt gezogen hat, nicht gewöhnt.
    » Landing Mobile Craft . Flachbödige Landungsboote. Wie man sie bei der Invasion in der Normandie benutzt hat.«
    Ich lasse ihn zur Havnegade fahren. Er parkt zwischen dem Anlegeplatz der Flugboote und dem alten Kai der Bornholmer Fähre. Ich bitte ihn um seine Schuhe und seine Mütze. Er gibt sie mir, ohne etwas zu fragen.
    »Warte eine Stunde«, sage ich. »Und dann nicht mehr.«
    Das Eis hat in der Nacht ein dunkles Flaschengrün und eine dünne Haut aus Schnee, der jetzt, heute nacht, gefallen sein muß. Ich klettere eine senkrecht in die Kaimauer eingelassene Holzleiter hinunter. Auf dem Eisspiegel ist es sehr kalt. Mein Burberry wird merkbar steif, Landers Schuhe wirken dünn wie Eierschalen. Aber sie sind weiß. Zusammen mit dem Mantel und der Mütze lassen sie mich mit dem Eis verschmelzen. Falls sie beim Weißen Schnitt jemanden postiert haben sollten.
    Am Kai hat sich das Eis etwas gestaut, ich schätze die Eisdicke auf über zehn Zentimeter, die Hafenbehörden könnten ein Eisstadion aufmachen. Das Problem ist der dunkle, wie geronnene Strich in der Fahrrinne.
    Man lebt in Nordgrönland so eng zusammen. Schläft zu mehreren in einem Raum. Hört und sieht die ganze Zeit über alle anderen. Die Gemeinschaft ist so klein. Als ich das letztemal zu Hause war, waren es auf zwölf Siedlungen verteilt sechshundert Menschen. Der Gegensatz dazu ist die Natur. Jeden Robbenfänger, jedes

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