Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
Vom Netzwerk:
Da blieb nichts anderes übrig, als zu röntgen. Um nach alten Brüchen und ähnlichem zu suchen. Die Bilder hätten dann an alle grönländischen Ärzte geschickt werden sollen. Zusammen mit einer Kugelaufnahme dessen, was von ihren Zähnen noch übrig war.«
    Erst jetzt sehe ich, daß auf der Fotografie unter dem Becken keine Oberschenkelknochen sind.
    Sorgfältig bringt Lagermann neben der ersten noch zwei weitere Aufnahmen an. Auf der einen ist die gesamte Wirbelsäule so gut wie intakt, die zweite ist ein Chaos aus Knochenteilen und dunklen Schatten, ein zerlegtes Universum.
    »Damit stellen sich verschiedene fachliche Fragen. Zum Beispiel die nach der Plazierung der Körper im Verhältnis zur Detonation. Es sieht aus, als hätten sie direkt auf der Ladung gesessen und daß diese nicht – wie normalerweise, wenn man in Klippen oder Eis plastischen Sprengstoff benutzt – in einen vorgebohrten Kanal gelegt oder zu einer umgekehrten Dose geformt worden ist, die die Explosion in einem bestimmten Punkt fokussiert. Daß sie sozusagen zwischen ihren Arschbacken in die Luft gegangen ist. Was bei Fachleuten selten ist.«
    »Jetzt gehe ich«, sagt Benja. Doch sie bleibt sitzen.
    »Das sind natürlich alles Spekulationen auf der Grundlage dünner Indizien. Aber das hier nicht.«
    Er hängt zwei größere Aufnahmen unter die ersten.
    »Negativvergrößerungen dieser Bereiche.«
    Er zeigt mit der Zigarre.
    »Man sieht die Reste der Leber, den unteren Oesophagus und den Magen. Hier hat die untere Rippe gesessen, direkt über der Vertebra lumbalis , die hier ist. Das ist das Herz. Dort ist es lädiert, dort ist es intakt. Können Sie etwas sehen?«
    Für mich ist das ein Chaos aus schwarzen und grauen Nuancen. Moritz beugt sich vor. Die Neugierde siegt über die Eitelkeit. Aus seiner Innentasche holt er die Brille, mit der nur wir, die Frauen in seinem Leben, ihn gesehen haben. Dann setzt er einen Fingernagel auf jedes Bild.
    »Dort.«
    Lagermann richtet sich auf.
    »Ja«, sagt er. »Genau da. Aber was zum Teufel ist das?«
    Moritz nimmt ein Vergrößerungsglas von einem Aluminiumtablett. Selbst als er darauf deutet, verstehe ich nichts. Erst als er es mir auf dem zweiten Bild zeigt, ahne ich etwas. Wie in der Glaziologie. Einmal ist ein Zufall. Strukturbildend ist die Wiederholung.
    Es ist eine nadeldünne, weißliche Spur, die ungleichmäßig und gewunden ist. Sie wandert an den zerteilten Rückenwirbeln empor, verschwindet bei den Rippen, kommt an der einen Lungenspitze zum Vorschein, ist wieder weg und dann beim Herzen wieder da, davor und teilweise in der großen Herzkammer, wie ein weißer Lichtfaden.
    Lagermann zeigt auf die zweite Fotografie. Durch die Leber in die linke Niere.
    Sie starren durch das Vergrößerungsglas.
    Dann dreht sich Moritz um. Vom Schreibtisch nimmt er eine dicke Hochglanzzeitschrift.
    » Nature «, sagt er. »Ein Sonderheft von 1979. Auf das du, Smilla, meine Aufmerksamkeit gelenkt hast.«
    Auf der Rückseite ist eine Fotografie. Eine Röntgenaufnahme, die jedoch technisch so gemacht ist, daß auch die Weichteile sichtbar werden, so daß der Körper nahezu unmerklich in das Skelett übergeht.
    »Das«, sagt Moritz, »ist ein Ghanaer.«
    Er fahrt mit seinem Füller an der linken Seite der Fotografie empor. Von der einen Hüfte durch die Bauchhöhle hinauf bewegt sich eine helle, gewundene Spur.
    » Dracunculus «, sagt er. »Guineawurm. Wird durch Cyclops , Krebstiere, im Trinkwasser übertragen. Kann sich auch durch die Haut bohren. Ein richtig unangenehmer Parasit. Wird einen Meter lang. Arbeitet sich mit einer Geschwindigkeit von bis zu einem Zentimeter am Tag durch den Körper. Steckt zuletzt den Kopf durch den Schenkel raus. Dort fangen ihn die Afrikaner und rollen ihn auf einen Stock auf. Jeden Tag wickeln sie ein paar Zentimeter auf. Es dauert einen Monat, bis man ihn heraus hat. Dieser Monat und die Monate davor sind eine einzige Leidenszeit.«
    »Wie unappetitlich«, sagt Benja.
    Wir gehen mit den Köpfen ganz dicht an die Fotografien heran.
    »Habe ich mir gedacht«, sagt Lagermann, »habe ich mir doch gedacht, daß es eine Art Wurm sein müßte.«
    »In dem Aufsatz in Nature «, fahrt Moritz fort, »geht es um die Röntgendiagnose dieser Sorte Parasiten. Das ist sehr kompliziert, wenn sie nicht im Gewebe verkalkt sind. Weil das Herz nicht mehr schlägt, bringt man die Kontrastflüssigkeit nur schwer dazu, sich im Körper zu verteilen.«
    »Hier geht es aber um Grönland«, werfe ich

Weitere Kostenlose Bücher