Peter Hoeg
seinen Kurs zweimal. Er schaut mich forschend an, gehorcht jedoch. Ich versuche nicht, ihm etwas zu erklären. Was sollte ich auch sagen?
Ein schwacher Wind kommt auf. Er klatscht kalte und harte Salzwassertropfen in unsere Gesichter. Wir kriechen am Boden zusammen und lehnen uns aneinander. Der schwere Zodiac tanzt auf der kabbeligen See. Lander kommt mit seinem Mund nahe an meine Kapuzenmütze, die ich hochgezogen habe.
»Føjl und ich waren zusammen bei der Marine. Bei den Froschmännern. Wir waren Anfang Zwanzig. Als denkender Mensch muß man in diesem Alter sein, um sich so einen Scheiß gefallen zu lassen. Ein halbes Jahr lang sind wir um fünf Uhr morgens aufgestanden, einen Kilometer in eiskaltem Wasser geschwommen und anderthalb Stunden gerannt. Wir übten in der Nacht Fallschirmspringen über Wasser, fünf Kilometer vor Schottlands Küste, und ich bin fast nachtblind. Wir schleppten das blöde Gummiboot auf dem Kopf durch die dänischen Wälder, während die Offiziere uns anpißten und unsere Psyche umzumodeln versuchten, damit Soldaten aus uns wurden.«
Ich lege die Hand auf seinen Arm, der den Gashebel hält, und korrigiere die Richtung. Fünfhundert Meter vor uns schneidet das Containerschiff als grünes Steuerbordlicht und drei hochsitzende Motorenlaternen unseren Kurs.
»Normalerweise kommen die Kleinen am besten zurecht. Die in meiner Größe. Wir hielten immer mit. Die Großen konnten einmal heben, und dann waren sie fertig. Wir mußten sie dann ins Gummiboot legen und mittragen. Aber mit Føjl war das anders. Føjl war groß, aber so schnell wie ein Kleiner. Ihn kriegten sie nicht matt und haben ihn auch in den Verhörkursen nie kleingekriegt. Er sah sie einfach freundlich an, genau so, wie du ihn kennst. Und gab keinen Millimeter nach. Eines Tages tauchen wir unter Eis. Es ist Winter. Das Meer ist gefroren. Wir haben uns ein Loch sprengen müssen. An dem Tag herrscht eine kräftige Strömung. Auf dem Weg nach unten gleite ich durch einen Kältegürtel. Das kann passieren. Das Kondenswasser der Atemluft gefriert zu Eis und blockiert die kleinen Ventile im Lungenautomaten. Ich habe die Sicherheitsleine, an der man zu dem Loch im Eis zurückfindet, noch nicht festgemacht. So ist das, wenn man unter Eis taucht. Nach zwei Metern ist das Loch eine dunkle Kante. Ist man fünf Meter weg, kann man es nicht mehr sehen. Mich packt also die Panik. Ich verliere die Leine. Ich glaube das Loch nicht mehr sehen zu können. Alles ist grünlich, strahlend und neonfarbig unter dem Eis. Ich habe ein Gefühl, als würde ich ins Totenreich eingesaugt. Ich spüre, wie mich die Strömung packt, nach unten und nach draußen führt. Sie haben mir später erzählt, daß Føjl es gesehen hat. Und einen Bleigürtel in die Hand genommen hat und ohne Flaschen ins Wasser gesprungen ist. Nur mit einer Leine in der Hand. Denn es war ja keine Zeit zu verlieren. Und er taucht zu mir hinunter. Er fängt mich in zwölf Meter Tiefe. Aber er taucht im Trockenanzug. Das bedeutet, daß der Wasserdruck das Gummi gegen die Haut preßt. Alle zehn Meter nimmt der Druck um eine weitere Atmosphäre zu. Bei zehn Metern schneidet sich die Gummikante an den Gelenken und Knöcheln durch die Haut. Alles, woran ich mich noch erinnere, sind Wolken von Blut.«
Ich denke an die Narben um Handgelenke und Knöchel, schwarz wie Eisenbügel.
»Er war es auch, der das Wasser aus meinen Lungen gepreßt hat. Und mich künstlich beatmet hat. Wir mußten lange warten. Sie hatten nur einen kleinen Gasturbinenhubschrauber, und es war schlechtes Wetter. Auf dem ganzen Weg zum Land habe ich von ihm Herzmassage und Luft bekommen.«
»Wohin zum Land?«
»Scoresbysund. Wir hatten Übungen in Grönland. Es war kalt. Aber das war ihm gerade recht.«
Der Schnee schließt uns in ein chaotisches Gitter, eine wilde Verwirrung aus Schrägstrichen ein.
»Er ist verschwunden«, sage ich. »Ich habe versucht, ihn anzurufen. Am Telefon ist ein anderer. Vielleicht ist er verhaftet worden.«
Eine Minute bevor das Schiff auftaucht, spüre ich es. Das Ziehen des Rumpfes an den Ankerketten, die langsame Verschiebung der großen, treibenden Masse.
»Vergiß ihn, Schätzchen. Das mußten wir anderen auch.«
An der Backbordseite ist am Ende einer steilen Jakobsleiter unter einer einzelnen gelben Laterne eine kurze Floßbrücke ausgelegt. Er macht den Motor nicht aus, sondern stabilisiert das Boot, indem er sich an einem Eisenträger festhält.
»Du kannst mit zurückkommen,
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