Peter Hoeg
hinaustragen kannst, ohne daß sie es sehen. Und so, daß ich ungesehen ins Auto kommen und mich vor den Rücksitz legen kann.«
Als er den Raum verläßt, setzt Benja sich in seinen Sessel. Ihr Gesicht ist abwesend, ausdruckslos. Wir hören, daß das Auto angelassen und herausgefahren wird, hören das Knirschen der Räder im Kies vor der Tür. Das Geräusch der Tür. Moritz' vorsichtige, angestrengte Schritte, als er den Karton hinausträgt.
Als er wieder hereinkommt, hat er Gummistiefel, Ölzeug und Mütze an. Er bleibt nur einen Augenblick in der Tür stehen. Dann macht er kehrt und geht voran.
Als ich aufstehe, geht Benja langsam hinter mir her. Ich gehe in das kleine Wohnzimmer, wo das Telefon steht, und wähle eine Nummer. Der Hörer wird sofort abgenommen.
»Ich komme«, sage ich. Dann lege ich auf.
Als ich mich umdrehe, steht Benja hinter mir.
»Wenn ihr weg seid, gehe ich zu ihnen raus und schicke sie hinter euch her.«
Ich trete zu ihr hin. Mit Daumen und Zeigefinger packe ich durch ihre Trikothosen den Venushügel und drücke zu. Als sie den Mund aufmacht, greife ich ihr mit der anderen Hand um die Kehle und verschließe die Luftröhre. Ihre Augen werden groß und weit vor Angst. Sie geht in die Knie und ich mit ihr, bis wir voreinander auf dem Fußboden knien. Sie ist größer und schwerer als ich, doch ihre Energie und ihre Perfidie liegen auf einer anderen Ebene. Am Königlichen Theater lernt man nicht, seinem Zorn physisch Ausdruck zu verleihen.
»Benja«, flüstere ich. »Laß mich in Ruhe.«
Ich drücke zu. Auf ihrer Oberlippe perlen Schweißtropfen. Da lasse ich sie los. Sie gibt keinen Laut von sich. Ihr Gesicht ist leer vor Angst.
Die Haustür zur Diele steht offen. Der Wagen hält davor. Ich krieche hinein. Auf dem Rücksitz steht mein Karton. Eine Decke wird über mich gelegt. Moritz setzt sich ans Steuer.
Er hält vor der Garage. Das Fenster wird heruntergekurbelt.
»Vielen Dank für Ihre Hilfe«, sagt der Nagel.
Dann fahren wir.
Der Wasserskiklub von Skovshoved hat eine breite Holzrampe, die von einem hohen Kai schräg zum Wasser hin abfällt. Dort wartet Lander. Er trägt einen einteiligen, wasserdichten Segleranzug, der in die Stiefel übergeht. Der Anzug ist schwarz. Und schwarz ist auch die Persenning auf dem Dach des Autos. Es ist nicht der Jaguar, sondern ein Landrover mit höher gelegter Karosserie.
Auch das Gummiboot, das unter der Persenning verzurrt ist, ist schwarz. Ein Zodiac aus schwerer Gummileinwand mit Holzboden. Moritz will helfen, kommt aber nicht dazu. Mit einem mühelosen Ruck kippt der kleine Mann das Boot vom Auto, fängt es auf dem Kopf auf und schubst es mit einer gleitenden Bewegung über die Rampe.
Aus dem Kofferraum holt er einen Außenbordmotor, hebt ihn ins Boot und macht ihn am Heckspiegel fest. Wir packen alle drei an, um das Boot ins Wasser zu lassen. In meinem Karton finde ich Gummistiefel, eine Kapuzenmütze, Handschuhe aus Kunststoffpelz und einen Überziehanzug, den ich über meinen Pullover ziehe. Moritz geht nicht mit auf die Rampe, sondern bleibt hinter dem Geländer stehen.
»Kann ich etwas für dich tun, Smilla?«
Die Antwort kommt von Lander.
»Sie können zusehen, daß Sie wegkommen.«
Dann stößt er ab und läßt den Motor an. Eine unsichtbare Hand ergreift das Boot von unten her und führt uns von Land. Der Schnee fällt jetzt dicht. Nach ein paar Sekunden ist Moritz' Gestalt verschwunden. Genau als sie sich umdreht und zum Auto zurückgeht.
Um das linke Handgelenk hat Lander einen Kompaß. In einem Sichtkorridor, der in dem Schneetreiben momentweise aufreißt, ist Schweden zu sehen. Da sind die Lichter von Tårbæk. Und als treibende, helle Flecken in der Dunkelheit zwei Schiffe, die zwischen der Küste und der mittleren Fahrrinne Anker geworfen haben. Nordwestlich vom Flakfort.
»Das an Steuerbord ist die Kronos.«
Ich kann Lander nur schwer von seinem Büro, seinem Alkohol, seinen hohen Hacken und seinem Abendanzug trennen. Die Autorität, mit der er das Boot zwischen den Wellen hindurchmanövriert, die immer schwerer werden, je weiter wir von Land wegkommen, ist unerwartet und fremd.
Ich versuche mich zu orientieren. Bis zur Fahrrinne hinaus ist es eine Seemeile. Unterwegs zwei Seezeichen. Die Leuchtfeuer der Einfahrt zum Tuborghafen. Zum Hafen von Skovshoved. Die Leuchtfeuer auf den Hügeln über dem Strandvej. Ein Containerschiff auf dem Weg nach Süden.
Als der Schneefall die Sicht versperrt, korrigiere ich
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