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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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Sie schenkt ein Glas kalte Milch ein. Stärkend an einem solchen Abend, wo man wachen und warten muß. Ich nehme die Feuertreppe. Sie fuhrt zum Balkon des Zimmers, das einmal meins war. Ich komme hinein und taste mich vor. Sie haben den Karton gebracht. Er steht auf dem Fußboden. Die Tür zum Flur steht offen. Unten in der Diele geleitet Benja den Nagel hinaus.
    Ich sehe ihn über den Kies davongehen, wie einen dunklen Schatten. Zur Garage und durch die kleine Tür.
    Natürlich haben sie in der Garage geparkt. Moritz hat den Wagen für jeden Tag ein bißchen beiseite gerückt, damit sie Platz haben. Der Bürger muß der Polizei in jeder Weise behilflich sein.
    Ich schleiche die Treppe hinunter. Ich kenne sie, mache also keinen Lärm. Ich komme in die Diele hinunter, an der Garderobe vorbei und in das kleine Wohnzimmer. Dort ist Benja. Sie sieht mich nicht. Sie schaut auf den Öresund hinaus. Zu den Lichtern am Tuborghafen, nach Schweden und zum Flakfort hinüber. Sie summt vor sich hin. Nicht richtig froh und entspannt. Aber intensiv. Heute nacht, denkt sie, heute nacht erwischen sie Smilla. Die Talmigrönländerin.
    »Benja«, sage ich.
    Blitzschnell fährt sie herum, wie wenn sie tanzt. Doch dann bleibt sie stecken.
    Ich sage nichts, mache nur eine Handbewegung, und mit gesenktem Kopf geht sie vor mir ins Wohnzimmer.
    Ich bleibe an der Tür stehen, die langen Gardinen machen mich gegen den Weg hin unsichtbar.
    Moritz hebt den Kopf und sieht mich. Sein Ausdruck verändert sich nicht, doch das Gesicht wird flacher, vergrämter.
    »Ich war's.« Benja hat sich neben ihn gestellt. Er gehört ihr. »Ich habe angerufen«, sagt sie.
    Er reibt die Hand an seinem Kinn. Heute abend hat er sich nicht rasiert. Die Stoppeln sind schwarz, mit Grau durchsetzt. Seine Stimme ist leise und resigniert.
    »Ich habe nie gesagt, daß ich vollkommen bin, Smilla.«
    Das hat er zwar ständig gesagt, aber ich bringe es nicht über mich, ihn daran zu erinnern. Zum erstenmal sehe ich, daß er alt ist. Daß er irgendwann, in vielleicht nicht allzu langer Zeit, sterben muß. Einen Augenblick lang kämpfe ich dagegen an, dann gebe ich auf, Mitleid erfüllt mich. In diesem jämmerlichen Moment.
    »Sie Warten draußen auf dich«, sagt Benja. »Sie bringen dich weg. Du gehörst nicht hierher.«
    Ich kann nicht anders, ich muß sie bewundern. Etwas von diesem Wahnsinn findet man bei Eisbärenweibchen, die ihre Jungen verteidigen.
    Es ist, als hätte Moritz sie nicht gehört. Seine Stimme ist noch immer leise, introvertiert. Als spräche er hauptsächlich mit sich selbst.
    »Ich möchte so gern Ruhe und Frieden haben. Ich möchte die Familie so gern um mich haben. Aber es gelingt mir nicht. Es ist mir nie gelungen. Die Dinge geraten mir außer Kontrolle. Als ich den Karton gesehen habe, den sie heute nachmittag gebracht haben, habe ich begriffen, daß du wieder weggehst. So wie alle die Male, als du weggelaufen bist. Ich bin zu alt geworden, um dich nach Hause zu holen. Vielleicht war es auch damals schon falsch.«
    Seine Augen sind blutunterlaufen, als er mich anschaut.
    »Ich möchte dich nicht gehen lassen, Smilla.«
    Im Laufe eines jeden Lebens bietet sich die Möglichkeit einer Klärung. Diese Chance hat er verpaßt. Die Konflikte, die ihn jetzt in den Sessel drücken, hatte er schon mit dreißig, als ich ihn kennenlernte, als er mein Vater wurde. Das Alter hat nur die Stärke unterhöhlt, mit der er ihnen sonst begegnet ist.
    Benja leckt sich die Lippen.
    »Gehst du selbst zu ihnen«, sagt sie, »oder soll ich sie holen?«
    Solange ich mich zurückerinnern kann, habe ich versucht, dieses Haus, dieses Land zu verlassen. Jedesmal hat das Dasein Moritz als willenloses Werkzeug benutzt, um mich zurückzurufen. In diesem Augenblick wird es so deutlich wie seit meiner Kinderzeit nicht mehr, daß die Wahlfreiheit eine Illusion ist, daß uns das Leben durch eine Reihe bitterer, unfreiwillig komischer, sich wiederholender Konfrontationen mit den Problemen führt, die wir nicht gelöst haben. Zu einer anderen Zeit hätte ich darüber vielleicht lächeln können. Im Moment bin ich zu müde. Ich senke also den Kopf und stelle mich darauf ein aufzugeben.
    Moritz erhebt sich.
    »Benja«, sagt er. »Du bleibst hier.«
    Sie gafft ihn an.
    »Smilla«, sagt er. »Was soll ich tun?«
    Wir messen einander mit zusammengekniffenen Augen. In ihm ist etwas ins Rutschen geraten.
    »Das Auto«, sage ich. »Fahr das Auto zum Hintereingang. So dicht, daß du den Karton

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