Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
Vom Netzwerk:
hat, kann man weitersuchen und hinter die Geometrie zurückgehen, in die Tunnel aus Licht und Dunkel in uns, die in die Unendlichkeit zurückreichen.
    Man könnte so viel tun, wenn man die Kraft hätte.
    Der Film ist vor zwei Stunden zu Ende gewesen. Vor zwei Stunden hat Jakkelsen seine Tür abgeschlossen. Doch es besteht kein Grund zur Ungeduld. Man kann nicht in Grönland aufwachsen, ohne daß einem der Mißbrauch vertraut wäre. Es ist ein irriges Klischee zu meinen, daß Drogen die Menschen unberechenbar machen. Sie machen sie ganz im Gegenteil absolut berechenbar. Ich weiß, daß Jakkelsen kommt. Ich habe die Geduld, den Zeitpunkt abzuwarten.
    Ich beuge mich vor, um das Licht auszumachen, ich will im Dunkeln sitzen. Der Schalter ist zwischen Waschbecken und Schrank, ich muß mich also vorbeugen.
    Das ist der Moment für ihn. Er muß das Ohr an der Tür gehabt haben. Ich habe Jakkelsen unterschätzt. Er hat sich an meine Tür herangeschlichen, sie aufgeschlossen und auf eine hörbare Bewegung dahinter gewartet, und das alles, ohne daß ich, unmittelbar dahinter, ihn habe hören können. Jetzt öffnet er sie so präzise, daß sie mich an der Schläfe trifft und zwischen Bett und Schrank zu Boden wirft. Dann ist er drin und hat sie hinter sich zugemacht. Er hat einen großen Marlspieker mit Holzgriff und hohler, polierter Stahlspitze mitgenommen.
    »Her damit«, sagt er.
    Ich versuche mich aufzusetzen.
    »Liegenbleiben!«
    Ich setze mich auf.
    Er dreht den Marlspieker um, so daß das schwere Ende nach unten zeigt, und haut mir dabei auf den Fuß. Er trifft den Knöchel des rechten Fußgelenks. Einen Augenblick lang weigert sich der Körper, den Umfang des Schmerzes zu glauben, doch dann durchzuckt eine weiße Feuerzunge das Skelett bis zur Schädeldecke, und der Oberkörper fällt von allein auf den Boden zurück.
    »Her damit.«
    Ich bringe kein Wort heraus, stecke aber die Hand in meine Tasche, hole das kleine Plastikröhrchen heraus und reiche es ihm.
    »Den Rest.«
    »In der Schublade.«
    Er denkt nach. Um an den Schreibtisch zu kommen, muß er über mich hinwegsteigen.
    Seine Rastlosigkeit ist offensichtlicher als je zuvor, hat aber etwas Zielbewußtes. Ich habe Moritz einmal erzählen hören, daß man mit Heroin ein langes, gesundes Leben leben kann. Wenn man es sich leisten kann. Die Droge selber hat einen fast konservierenden Effekt. Was die Junkies in die Grube bringt, sind die kalten Treppenhäuser, die Leberentzündungen, die unreinen Mischungen, Aids und die aufreibende Arbeit des Geldbeschaffens. Wenn man es sich jedoch leisten kann, kann man mit seiner Abhängigkeit leben und sich blendender Gesundheit erfreuen. Hat Moritz gesagt.
    Ich fand, er übertrieb. Es war die zynische, ironisch distanzierte Übertreibung des Fachmanns. Heroin ist Selbstmord. Für mich wird er nicht besser, nur weil man ihn über fünfundzwanzig Jahre hinzieht, und mit Sicherheit ist es eine Mißachtung des eigenen Lebens.
    »Hol es mir.«
    Ich ziehe mich hoch in die Hocke. Als ich mich aufstützen will, gibt das rechte Bein nach, und ich falle auf die Knie. Ich mache den Fall ein bißchen stärker, als er wirklich ist, und ziehe mich dann am Waschbecken hoch. Ich nehme das weiße Handtuch vom Haken und wische mir das Blut aus dem Gesicht. Danach drehe ich mich um und hinke einen Schritt zum Schreibtisch und zu den Schubladen. Das Handtuch noch immer in der Hand. Ich wende mich zum Schrank.
    »Der Schlüssel ist da drin.«
    In der Drehung setze ich zum Schwung an. Ein Kreisbogen, der zum Bullauge fuhrt, zur Decke steigt und sich auf seinen Nasenrücken herab beschleunigt.
    Er sieht es kommen und tritt zurück. Er ist allerdings nur darauf vorbereitet, daß ihm ein Stück Stoff ins Gesicht schnellt. Die Kugel im Frottee trifft ihn direkt über dem Herzen. Er fällt auf die Knie. Ich hole noch einmal aus. Er schafft es, einen Arm hochzureißen, der Schlag landet unter der Schulter und wirft ihn aufs Bett. Jetzt hat er Mord in den Augen. Ich schlage, so hart ich kann, und ziele auf seine Schläfe. Er tut das einzig Richtige, bewegt sich dem Schlag entgegen, kriegt den Arm hoch, so daß sich das Handtuch herumwickelt, und zieht mit aller Kraft. Ich fliege einen Meter auf ihn zu. Flach ausholend schlägt er mit dem Marlspieker zu. Er trifft meinen Unterleib. Als mein Körper hochgehoben wird und rückwärts durch die Kajüte fliegt, glaube ich, mir dabei zusehen zu können, und begreife, daß das, was da meinen Rücken rammt, der

Weitere Kostenlose Bücher