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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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versuche sie zu öffnen, aber Jakkelsens Schlüssel paßt nicht. Halb so schlimm. Ich weiß ungefähr, was dahinter ist. Ein Schaltbrett wie das im Tank. Plus Regulierungsschalter. Wir gehen zurück, Jakkelsen vorneweg. Seine Energie läßt nach. Er ist fast ausgebrannt.
    Während ich ihm seine Figuren hole, lasse ich ihn in seiner Kajüte warten. Ich begegne keinem Menschen. Mein Wecker zeigt 3.30 Uhr. Ich fühle mich gealtert.
    Ich gehe duschen. Als ich aus der Dusche komme, steht er in der Tür. Voller Energie. Mit einem verklärten Schein in seinem schmalen, jungen Gesicht.
    »Smilla«, flüstert er, »wie war's mit einem Quickie?«
    »Jakkelsen«, erwidere ich, »sag mal, war dieser Peder Most auch ein Junkie?«

6
    Ich stecke den Kopf in den Trockner und begrabe die Hände in den noch kochend heißen Geschirrtüchern. Umgehend und spürbar fängt die Haut im Gesicht und an den Händen an auszutrocknen. Wer heimatlos ist, sucht immer wieder nach Korrespondenzen, nach einer Ähnlichkeit, nach den kleinen Gerüchen und Farben und Berührungen, die an einen Ort erinnern, an dem man sich zu Hause gefühlt hat, an dem man einmal zur Ruhe gekommen ist. In einem Trockner herrscht Wüstenluft, und in einer Wüste habe ich mich einmal zu Hause gefühlt.
    Wir durchquerten in einer Talsohle eine Ebene. Um uns war flache, leblose Steppe, über uns eine heiße Sonne. Als hätte ein gnadenlos neugieriger Gott sein Mikroskop und seine Laborlampe auf uns gerichtet, weil wir die einzigen Lebewesen in einer ansonsten ausgestorbenen Welt waren. Wir gingen durch Sanddünen und über Salzpfannen, durch eine gelbbraune und aschgraue und dennoch ergreifend schöne Hitzehölle. Gegen Ende des Tages kam ein Staubsturm, wir mußten uns mit Halstüchern vor dem Gesicht auf den Boden drücken. Wir hatten kein Wasser mehr, und einer der Teilnehmer, ein junger Mann, bekam Fieber und schrie, er komme um vor Durst. Als sich der Sturm verzog, hing das wirbelnde Sandfeld noch einen Moment lang zwischen uns und der Sonne. Es leuchtete von innen her, als hätte es die Sonne umschlossen, als stiege ein großer, glühender Bienenschwarm mit ihr zum Himmel auf. Ich fühlte mich ohne nachweislichen Grund vollkommen klar im Kopf und glücklich.
    Es war damals halb zwölf in der Nacht, das brennende Licht war die Mitternachtssonne und der Ort das Schuckerdttal in Nordostgrönland, eine arktische Wüste, wo die Polarsonne die Klippen in einem ganz kurzen Sommer auf fünfunddreißig Grad aufheizt und aus der Landschaft eine mückengeplagte Gegend mit ausgetrockneten Flußbetten und hitzeflimmernden steinigen Böden macht. Wir brauchten zwei Tage, um durchzukommen, und seither habe ich mich regelmäßig dorthin zurückgewünscht. Mein Bruder war als Jäger bei der Expedition dabei. Es war die letzte lange Reise, die er und ich zusammen unternahmen. Wir fühlten uns wie Kinder, als hätte es den Tag, an dem Moritz mich nach Dänemark gezwungen hatte, nie gegeben, als hätten wir nie zwölf Jahre Trennung erlebt. In diesem Moment vor dem Trockner hänge ich an dieser unsinnigen, lieben Jugenderinnerung, die ich nie mehr mit jemandem werde teilen können. Das Dumme am Tod ist nicht, daß er die Zukunft verändert, sondern daß er uns mit unseren Erinnerungen allein zurückläßt.
    Ich ziehe den Schraubenzieher aus dem Korken und schlitze den großen schwarzen Müllsack auf. Vorgestern nacht hat mir Jakkelsen den Laderaum gezeigt. Seit gestern lege ich den Schraubenzieher nicht mehr weg.
    Gestern gegen Mittag komme ich aus der Wäscherei in meine Kajüte zurück und will mich umziehen. Mag sein, daß mein Leben insgesamt betrachtet ziemlich unordentlich ist. Aber meine Sachen halte ich in Ordnung. Ich habe Klemmbügel für meine Hosen und aufblasbare Bügel für meine Blusen mitgebracht, und ich lege meine Pullover auf eine ganz bestimmte Art zusammen. Die Kleidung bleibt wie neu und ist einem zugleich vertraut, wenn man sie ordentlich bügelt, zusammenlegt, aufhängt, bürstet, stapelt und an ihren Platz legt.
    Ganz oben in meinem Schrank liegt ein T-Shirt nicht so, wie es eigentlich liegen sollte. Ich überprüfe den ganzen Stapel. Jemand hat ihn durchgekramt.
    In der Messe setze ich mich neben Jakkelsen. Ich habe ihn seit der vorigen Nacht nicht mehr gesehen. Einen Moment lang hört er auf zu essen, dann beugt er sich wieder über seinen Teller.
    »Hast du«, sage ich ruhig, »meine Kajüte durchsucht?«
    In seinen Augen schlägt wie ein leichtes Fieber

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