Peter Hoeg
Mit einem elektrischen Schraubenzieher befestigt er am Boden lange Teakleisten.
Lukas ist allein auf der Brücke. Die Hand am Ruder. Der Autopilot ist abgestellt. Irgendwie weiß ich, daß er lieber manuell steuert, obwohl das den Kurs weniger genau macht.
Er dreht sich nicht um, und bevor er spricht, deutet nichts daraufhin, daß er mich bemerkt hat.
»Sie hinken.«
Er hat sich darauf getrimmt, alles zu sehen, ohne irgend etwas direkt anzuschauen.
»Das sind meine Krampfadern«, sage ich.
»Wissen Sie, wo wir sind, Jaspersen?«
Ich schenke ihm seinen Kaffee ein. Urs weiß genau, wie er ihn haben will. Klein, schwarz und giftig, wie einen Deziliter kochenden Teer.
»Ich rieche Grönland. Jetzt, heute. Draußen auf Deck.«
Sein Rücken strahlt Mißtrauen aus. Ich versuche eine Erklärung.
»Es ist der Wind. Er riecht nach Erde. Gleichzeitig ist er kalt und trocken. Es ist Eis drin. Ein Wind, der vom Inlandeis herunterkommt, über die Küste hinstreicht und uns hier draußen erreicht.«
Ich stelle die Tasse vor ihn hin.
»Ich rieche nichts«, sagt er.
»Es ist eine wissenschaftliche Tatsache, daß Kettenraucher ihren Geruchssinn wegbrennen. Starker Kaffee ist auch nicht gut.«
»Aber Sie haben recht. Heute nacht, gegen zwei Uhr, umfahren wir Kap Farvel.«
Er will etwas von mir. Er hat seit dem Tag, an dem ich an Bord gekommen bin, nicht mehr mit mir geredet.
»Es gibt die Regel, daß man sich bei der Kapumrundung beim Grönländischen Eismeldedienst meldet.«
Ich habe 300 Flugstunden in der Havilland Twin-Otter des Eismeldedienstes und drei Monate in den Baracken von Narsarsuaq damit verbracht, auf der Grundlage von Flugzeugaufnahmen Eiskarten zu zeichnen und sie anschließend an das Meteorologische Institut nach Kopenhagen zu faxen, das sie über Radio Skamlebaek an die Schiffahrt weitergibt. Doch all das erzähle ich Lukas nicht.
»Das ist freiwillig. Aber alle nutzen diese Möglichkeit. Sie melden sich von da an alle vierundzwanzig Stunden.«
Er schluckt den Kaffee wie eine Kopfschmerztablette.
»Es sei denn, man bewegt sich außerhalb der Legalität. Und möchte seine Bewegung verbergen. Meldet man sich nicht beim Eismeldedienst, geht nämlich auch kein Bescheid an die dänischen Inspektionskutter. Oder an die Polizei.«
Alle sprechen von der Polizei. Verlaine, Maria, Jakkelsen. Und jetzt Lukas.
»Mit der Reederei ist vereinbart worden, daß das Telefon an Bord unterwegs nicht benutzt wird. Ich bin bereit, eine einzige Ausnahme zu machen.«
Erst überrumpelt mich das Angebot. Ich meine nicht, den Eindruck gemacht zu haben, daß ich unbedingt an der Strippe hängen und über Radio Lyngby mit meiner Familie flennen muß.
Dann dämmert es mir. Zu spät, natürlich, dafür aber um so klarer. Lukas glaubt, ich bin von der Polizei. Verlaine glaubt es. Und Jakkelsen auch. Sie glauben, ich bin hier sozusagen in Verkleidung. Das ist die einzig mögliche Erklärung. Deshalb hat Lukas mich an Bord genommen.
Ich sehe zu ihm hinüber. Es ist ihm nichts anzumerken, aber natürlich muß sie dasein, die Furcht. Muß bereits bei der ersten Begegnung dagewesen sein, in dem Spiegelbild seines abgewandten Gesichts in den Kasinoscheiben. Er muß in seinem Leben mehrere zweifelhafte Fahrten gemacht haben. Doch die hier ist etwas Besonderes. Diese fürchtet er. So sehr, daß er mich an Bord genommen hat. In dem Glauben, daß ich einer Sache auf der Spur bin. Daß seine widerstrebende Nachgiebigkeit ihm eine Art Alibi verschaffen wird, falls das Gesetz gegen ihn, die Kronos und seine Passagiere vorgehen sollte.
Es sitzt in seinem Rücken, in seiner durchgedrückten Steifheit, in dem Gefühl, daß er alles zu überwachen, allgegenwärtig zu sein versucht. In der Disziplin, die er hält.
»Vermissen Sie etwas... hier an Bord?«
Diese Wendung geht ihm nicht natürlich von der Zunge. Er ist kein Mannschaftsseelsorger oder Personalchef. Er ist einer, der Befehle erteilt.
Ich trete hinter ihn.
»Einen Schlüssel.«
»Sie haben einen Schlüssel.«
Jetzt bin ich so dicht hinter ihm, daß mein Atem seinen Nacken streift. Er dreht sich nicht um.
»Zum Bootsdeck.«
»Der ist eingezogen worden.«
Die Verbitterung lodert über seinen Rücken. Über mein Ansinnen. Am meisten aber darüber, daß man ihm die uneingeschränkte Macht als Oberbefehlshaber des Schiffes genommen hat.
Da frage ich. Wie mich Jakkelsen gefragt hat.
»Wohin fahren wir?«
Sein Finger landet auf der Seekarte neben ihm. Sie zeigt Südgrönland.
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