Peter Hoeg
Sürlicha und am Ufga.«
Nachdem wir den Kontakt verloren haben, nachdem er mich im Küchenaufzug gefunden hat, finde ich, daß er selbst etwas Teigiges bekommen hat. Etwas Bewegliches, Unverdorbenes, Einfaches und doch Raffiniertes. Und zugleich viel, viel zu Weiches.
»Gibt es jetzt eine Extramahlzeit?«
Er versucht mich zu überhören.
»Du landest im Knast«, sage ich. »Direkt im Kittchen. Hier in Grönland. Kein Küchendienst. Keine Strafmilderung. Mit dem Essen machen sie hier nicht viel Aufhebens. Wenn wir uns in drei bis vier Jahren wiedersehen, werden wir ja sehen, ob du dir deine gute Laune erhalten hast. Auch wenn du dreißig Kilo abgenommen hast.«
Er sackt zusammen wie ein punktiertes Soufflé. Er kann nicht wissen, daß es in Grönland keine Gefängnisse gibt.
»Am elfi. Für ei Person.«
»Urs«, sage ich, »weswegen bist du verurteilt worden?«
Er sieht mich versteinert an.
»Es kostet mich nur einen Anruf«, sage ich. »Bei Interpol.«
Er antwortet nicht.
»Ich habe vor unserer Abfahrt angerufen«, sage ich. »Als ich die Schiffsliste gesehen habe. Es war Heroin.«
In dem schmalen Feld zwischen Bart und Oberlippe perlt eine Kette von Schweißtropfen.
»Das hast du nicht von Marokko aus gemacht. Von woher?«
»Warum müant sie mi immer alli quäla?« sagt er.
»Woher?«
»Vom Flughafa in Genf. Der See isch ganz in dr Nächi. I bi bim Militär gsi. Miar hend Kista zsämma mit em Proviant mitgna, uf am Fluß.«
Als er antwortet, begreife ich zum erstenmal in meinem Leben etwas von der Kunst des Verhörs. Er antwortet mir nicht nur aus Furcht, sondern ebensosehr aus dem Bedürfnis nach Kontakt, aus der Last eines gequälten Gewissens, aus der Einsamkeit auf dem Meer heraus.
»Kisten mit Antiquitäten?«
Er nickt.
»Us am Osta. Mit em Flugzüg vo Kioto.«
»Wer hat sie herausgebracht? Wer war der Spediteur?«
»Aber das müand Sie ja wüssa.«
Ich sage nichts. Ich kenne die Antwort, bevor sie kommt.
»Dr Verlaine natürlig . . .«
So haben sie die Kronos bemannt. Mit Leuten, die so gefährdet sind, daß sie keine andere Wahl gehabt haben. Erst jetzt, nach so langer Zeit, sehe ich die Schiffsmesse, wie sie wirklich ist. Als Mikrokosmos, als Bild des Netzes, das Tørk und Claussen zuvor geknüpft haben. So wie Loyen und Ving die Kryolithgesellschaft genutzt haben, so haben sie auch diese bereits vorhandene Organisation benutzt. Fernanda und Maria aus Thailand, Maurice, Hansen und Urs aus Europa, Teile desselben Organismus.
»I han kai Wahl gha. I bin zahligsunfähig gsi.«
Seine Ängstlichkeit wirkt jetzt nicht mehr übertrieben.
Ich will schon gehen, als er mir nachkommt.
»Fräulein Smilla. Hi und da denk i, daß Si villicht blöffend . . . Daß Si villicht gar nit vo dr Polizei sind.«
Selbst einen halben Meter von Urs entfernt spüre ich die Hitze des Brotes. Es muß gerade aus dem Ofen gekommen sein.
»Und i dem Fall war es eigentli kai bsunders Risiko, wenn i Ihna amena schöna Tag, säga mer, a Portion Trifle mit Glas-scherba und chlina Stacheldrahtstückli serviera würdi.«
Er hält das Brot in der Hand. Es muß über zweihundert Grad heiß sein. Vielleicht ist er ja doch nicht so weich. Vielleicht würde er, wenn man ihn hohen Temperaturen aussetzte, eine glasharte Kruste bekommen.
Ein Zusammenbruch braucht nicht als Einschnitt zu kommen, es kann durchaus sein, daß man nur sachte in die Resignation hineinrutscht.
Bei mir kommt er so. Auf dem Weg von der Kombüse beschließe ich, von der Kronos abzuhauen. In meiner Kajüte ziehe ich zuerst Unterwäsche aus reiner Wolle an. Darüber meine blauen Arbeitssachen, blaue Turnschuhe, einen blauen Pullover und eine dünne, dunkelblaue Daunenjacke. Im Dunkeln wird das fast schwarz sein. Es ist das am wenigsten Auffällige, das ich im Moment finden kann. Ich packe keinen Koffer. Ich rolle mein Geld, meine Zahnbürste, Schlüpfer und eine kleine Flasche Mandelöl in eine Plastiktüte. Ich glaube nicht, daß es mir gelingt, mit mehr wegzukommen.
Ich sage mir, daß mich die Einsamkeit erwischt hat. Ich bin zusammen mit anderen aufgewachsen. Wenn ich kurze Phasen der Einsamkeit und des In-sich-gekehrt-Seins gebraucht habe, dann nur, um gestärkt wieder in die Gemeinschaft zurückzukehren.
Aber ich habe diese Gemeinschaft nicht gefunden. Irgendwie ist sie mir verlorengegangen, irgendwann in dem Herbst, in dem Moritz mich zum erstenmal aus Grönland ausflog. Ich suche immer noch, ich habe noch nicht aufgegeben. Doch es
Weitere Kostenlose Bücher