Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
Vom Netzwerk:
Wenn es unbedingt sein muß. Manchmal haben sich sogar die kleinen dänischen Inspektionskutter auf der Jagd nach englischen und isländischen Trawlern hineingewagt.«
    »Warum fährt man ein Viertausendtonnenkümo und ein Dutzend Leute zur Baffinbucht und laviert sich dann durch eine lebensgefahrliche Öffnung im Meereis?«
    Ich schließe die Augen und rufe mir das Bild eines vergrößerten Pflanzenkeims ins Gedächtnis, eine kleine Figur, die sich um ihr eigenes Zentrum krümmt. Wie bei den Abbildungen, die auf der Seekarte auf dem Bootsdeck gelegen haben.
    »Weil dort eine Insel liegt. Die einzige so weit von der Küste entfernte Insel vor Ellesmere Island.« Unter meinem Lineal ist sie ein Punkt, der so klein ist, daß er fast nicht da ist.
    »Isla Gela Alta. Von portugiesischen Walfängern im vorigen Jahrhundert entdeckt.«
    »Ich habe davon gehört«, sagt er nachdenklich. »Vogelreservat. Zu schlechtes Wetter, selbst für die Vögel. Verboten, an Land zu gehen. Unmöglich, dort zu ankern. Auf der ganzen Welt gibt es keinen Grund, um dorthin zu fahren.«
    »Trotzdem wette ich, daß wir genau dorthin fahren.«
    »Ich bin«, sagt er, »nicht sicher, ob Sie in der Lage sind, Wetten einzugehen.«
     
    Noch während ich die Brücke verlasse, denke ich, daß an Sigmund Lukas ein anständiger Mensch verlorengegangen ist. Es ist ein Phänomen, das ich oft beobachtet habe, ohne es verstehen zu können. Daß in einem Menschen ein anderer existieren kann, ein großzügiges und vertrauenerweckendes Individuum aus einem Guß, das aber leider immer nur momentweise zum Ausdruck kommt, weil es in einem korrupten und verschalten Gewohnheitsverbrecher steckt.
    An Deck ist es dunkel geworden. Irgendwo im Dunkeln glüht eine Zigarette.
    Jakkelsen lehnt an der Reling.
    »Mann, ist das geil!«
    Der Komplex unter uns ist erleuchtet, die Lampen stehen an beiden Seiten der Kaiarme. Selbst jetzt, in dieses gelbe Licht getaucht, sieht die grasgrün gestrichene Greenland Star mit den erleuchteten Gebäuden weiter hinten, den kleinen elektrischen Autos und den weißen, aufgemalten Verkehrszeichen immer noch aus wie ein paar tausend Quadratmeter auf dem Atlantik ausgelegter Stahl.
    Für mich ist das Ganze von A bis Z ein Irrtum. Für Jakkelsen ist es eine wunderbare Einheit aus Meer und Spitzentechnologie.
    »Ja«, sage ich, »und das Beste ist, daß man das Ganze auseinandernehmen und in zwölf Stunden einpacken kann.«
    »Mit dem Ding haben sie das Meer besiegt, Mann. Jetzt ist es egal, wie tief es bis zum Grund ist und wie das Wetter aussieht. Sie können überall einen Hafen hinpacken. Mitten im Ozean.«
    Ich bin keine Pädagogin und keine Pfadfinderführerin. Ich habe kein Interesse daran, ihn zu korrigieren.
    »Wozu muß man es auseinandernehmen können, Smilla?«
    Vielleicht ist es Nervosität, die mich trotzdem antworten läßt.
    »Sie haben das Ding gebaut, als sie bei Nordgrönland anfingen, Öl aus dem Meer zu holen. Nachdem sie das Öl entdeckt hatten, dauerte es zehn Jahre, bis sie es fördern konnten. Das Problem war das Eis. Sie bauten zuerst einen Prototyp für etwas, das die größte und solideste Bohrinsel der Welt hätte werden sollen, die Joint Venture Warrior, ein Resultat von Glasnost und grönländischer Selbstverwaltung, eine Zusammenarbeit zwischen USA, Sowjetunion und der Reederei A.P. Møller. Du bist doch schon mal an Bohrinseln vorbeigekommen. Du weißt, wie groß sie sind. Man sieht sie aus fünfzig Seemeilen Entfernung, und sie wachsen und wachsen: ein Universum für sich, das auf Pfählen zu schweben scheint. Mit Bodegas und Restaurants und Arbeitsplätzen, Werkstätten und Kino, Theater und Feuerwehrstationen, und das Ganze zwölf Meter über der Meeresoberfläche montiert, so daß selbst die schwerste Unwettersee drunter durchgeht. Stell dir so eine Insel mal vor. Die Joint Venture Warrior hätte viermal so groß sein sollen. Der Prototyp war achtzehn Meter über der Meeresoberfläche und als Arbeitsplatz für vierzehnhundert Mann gedacht. Sie bauten ihn in der Baffinbucht auf. Als er stand, kam ein Eisberg. Das war eingeplant. Doch der Berg war ein bißchen größer als üblich. Er war irgendwo am Rande des Eismeers entstanden. Hundert Meter hoch und oben flach, wie das nun mal ist, wenn ein Eisberg so hoch ist. Er hatte vierhundert Meter Eis unter der Meeresoberfläche und wog um die zwanzig Millionen Tonnen. Als sie ihn kommen sahen, kamen ihnen doch einige Bedenken. Aber sie hatten zwei große

Weitere Kostenlose Bücher