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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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Turnschuhe, den Schraubenzieher, den er in der Hand hält. Er begreift nichts.
    Dann reicht er mir sein Handtuch. Mit einer unbeholfenen und ratlosen Geste. Ohne daran zu denken, daß er sich damit entblößt. Ich nehme es und reiche ihm die Papiere. Er hält sie sich vor den Unterleib. Während ich mir meine Haare trockne. Seine Augen lassen mich nicht los.
     
    Wir sitzen in seiner Kajüte auf dem Bett. Eng zusammen, mit einem Abgrund zwischen uns. Wir flüstern, obwohl das nicht nötig wäre.
    »Weißt du, was hier vor sich geht?« frage ich.
    »Das m-meiste.«
    »Kannst du es mir erzählen?«
    Er schüttelt den Kopf.
    Wir sind ungefähr da, wo wir angefangen haben. In einem Morast des Verschweigens. Ich spüre den wilden Drang, mich an ihn zu klammern, ihn zu bitten, mich zu betäuben und mich erst wieder zu wecken, wenn das Ganze vorbei ist.
    Ich habe ihn nie wirklich kennengelernt. Bis vor ein paar Stunden habe ich geglaubt, wir hätten gewisse Augenblicke einer schweigenden Zusammengehörigkeit geteilt. Als ich ihn über die Landeplattform der Greenland Star gehen sah, habe ich eingesehen, daß wir einander immer fremd gewesen sind. Solange man jung ist, glaubt man, der Sex sei der Gipfel der Vertrautheit. Später entdeckt man, daß das gerade mal ein Anfang ist.
    »Ich möchte dir etwas zeigen.«
    Ich lasse die Papiere auf seinem Tisch liegen. Er reicht mir ein T-Shirt, Unterhose, Thermohose, Wollstrümpfe und Pullover. Wir ziehen uns mit dem Rücken zueinander an, wie Fremde. Ich muß seine Hose auf Kniehöhe und die Pulloverärmel auf Ellbogenlänge hochkrempeln. Ich bitte um eine Wollmütze und bekomme sie. Aus einer Schublade nimmt er eine flache, dunkle Flasche und steckt sie in die Innentasche seiner Jacke. Ich nehme die Wolldecke von der Koje und falte sie zusammen. Dann gehen wir.
     
    Er öffnet die Kiste. Jakkelsen sieht uns betrübt an. Seine Nase ist bläulich geworden, scharf, wie erfroren.
    »Wer ist das?«
    »Bernard Jakkelsen. Der kleine Bruder von Lukas.«
    Ich gehe zu ihm hin, knöpfe das Hemd auf und ziehe es von dem dreieckigen Stahl. Der Mechaniker rührt sich nicht.
    Ich mache die Taschenlampe aus. Wir stehen im Dunkeln einen Moment still da. Dann gehen wir. Ich schließe hinter uns ab. Als wir auf das Deck hinaustreten, bleibt er stehen.
    »Wer?«
    »Verlaine«, sage ich. »Der Bootsmann.«
    Am äußeren Schott ist eine Treppe angeschweißt worden. Ich krieche vorneweg. Er kommt zögernd hinter mir her. Wir kommen auf ein kleines Halbdeck, das im Dunkeln liegt. Auf zwei Holzbrücken steht ein Motorboot, dahinter ein großes Gummiboot. Wir setzen uns dazwischen. Von hier aus haben wir einen Ausblick auf das Achterdeck und sind selbst außerhalb des Lichts.
    »Es ist auf der Greenland Star passiert. Gerade als du angekommen bist.«
    Er glaubt mir nicht.
    »Verlaine hätte ihn dort über die Kante hieven können. Aber er hat Angst gehabt, Jakkelsen könnte am nächsten Tag am Plattformrand herumschwappen. Oder in eine Schraube geraten.«
    Ich denke an meine Mutter. Was ins Polarmeer geworfen wird, kommt nie mehr hoch, aber das weiß Verlaine nicht.
    Der Mechaniker sagt noch immer nichts.
    »Jakkelsen hat Verlaine auf den Kais verfolgt. Er ist entdeckt worden. Das Sicherste war, in einer der Kisten Platz zu machen und ihn dort hineinzulegen. Ihn an Bord zu nehmen. Zu warten, bis wir von der Plattform weg sind. Und ihn dann über Bord rutschen zu lassen.«
    Ich versuche, die Verzweiflung aus meiner Stimme zu halten. Er muß mir glauben.
    »Inzwischen sind wir wieder draußen auf offener See. Jede Minute mit ihm in der Ladung ist für sie ein Risiko. Sie werden jeden Moment kommen. Sie müssen ihn aufs Deck heraufbringen. Es gibt keinen anderen Weg über die Reling. Deshalb sitzen wir hier. Ich fand, daß du das sehen solltest.«
    Aus der Dunkelheit kommt ein gedämpfter Seufzer. Es ist der Korken, der aus der Flasche flutscht. Er reicht mir die Flasche, ich trinke. Es ist dunkler, süßer, schwerer Rum. Ich lege die Wolldecke über uns. Es hat vielleicht zehn Grad minus. Trotzdem ist mir innen brennend warm. Der Alkohol erweitert die Kapillaren, die Hautoberfläche spannt ein wenig. Es ist dieser Schmerz, den man um jeden Preis vermeiden muß, wenn man nicht erfrieren will. Ich nehme die Wollmütze ab, um die Kühle an der Stirn zu spüren.
    »T-Tørk hätte das nie zugelassen.«
    Ich reiche ihm den Brief. Er sieht zu den dunklen Scheiben der Brücke hinauf, beugt sich hinter den Rumpf des

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