Peter Hoeg
der Greenland Star. Für eine Kündigung ist das Schreiben sehr kurz.
An Kapitän Sigmund Lukas.
Hiermit kündige ich aus privaten Gründen meine Heuer auf der Kronos fristlos. Geht zum Teufel.
B. Jakkelsen
Ich sehe zu ihm auf.
»Mich quält«, sagt er, »mich quält der Verdacht, daß Sie während des Stromausfalls ebenfalls an Land gewesen sind.«
Durch sein Gesicht geht ein Sprung. Weg ist der Offizier, weg ist der Sarkasmus. Übrig ist nur hoch eine Sorge bis zur Verzweiflung.
»Erzählen Sie mir, was Sie von ihm wissen.«
Alles, was mir Jakkelsen nicht erzählt hat, sehe ich jetzt. Lukas' entschlossene Fürsorge, den Wunsch, zu beschützen, zu retten, den Bruder über Wasser und unbestraft und weg von den schlechten Freunden in den Städten zu halten. Koste es, was es wolle. Auch wenn es bedeutet, daß er ihn auf eine Heuer wie diese mitnehmen muß.
Einen Moment lang bin ich versucht, ihm alles zu erzählen. Einen Augenblick lang spiegele ich mich in seiner Qual. In unserem irrationalen, blinden und vergeblichen Versuch, andere vor etwas zu schützen, von dem wir nicht wissen, was es ist, und das sich dennoch durchsetzt, egal, was wir tun.
Dann lasse ich meine Anwandlung ausklingen und verebben.
Ich kann für Lukas jetzt nichts tun. Für Jakkelsen kann niemand mehr etwas tun.
»Ich habe auf dem Kai gestanden. Das ist alles.«
Er zündet sich eine neue Zigarette an. Ein Aschenbecher ist bereits voll.
»Ich habe die Telestation angerufen. Die ganze Situation ist völlig unmöglich. Es ist streng verboten, auf diese Weise einen Mann an Land zu setzen. Außerdem wird das Ganze durch das interne System noch undurchsichtiger. Man schreibt das Telegramm und liefert es an einem Schalter ab. Von dort wird es zur Ausgabe getragen. Von dort holt eine dritte Person es zum Fernschreiber. Ich spreche mit einer vierten. Sie wissen nicht einmal, ob es persönlich abgeliefert oder telefonisch durchgegeben worden ist. Es ist unmöglich, irgend etwas zu erfahren.«
Er packt mich am Oberarm.
»Haben Sie auch nur die leiseste Ahnung, was er an Land wollte?«
Ich schüttele den Kopf.
Er wedelt mit dem Telegramm.
»Das ist typisch er.«
Er hat Tränen in den Augen.
Genau so würde Jakkelsen schreiben. Kurz, arrogant, geheimnisvoll und doch stark von den Klischees der formalen Sprache eingenommen. Aber es ist nicht Jakkelsen, der das geschrieben hat. Das ist der Text auf dem Blatt Papier, das ich heute nacht aus Tørks Kajüte mitgenommen habe.
Er schaut aufs Meer, ohne etwas zu sehen, und ist ganz und gar hineingesogen in die erste der qualvollen Grübeleien, die von jetzt an zunehmen werden. Er hat vergessen, daß ich da bin.
In diesem Augenblick geht der Feueralarm los.
Wir sind sechzehn Mann hoch in der Kombüse versammelt. Alle an Bord, außer Sonne und Maria, die auf der Brücke sind.
Faktisch gesehen ist es Tag, doch draußen ist es dunkel. Der Wind hat aufgefrischt, die Temperatur ist gestiegen, eine Kombination, die den Regen wie Zweige über die Scheiben peitschen läßt. Die Wellen an der Schiffsseite sind unregelmäßige Schläge mit einem Schlegel.
Der Mechaniker lehnt neben Urs am Schott. Verlaine sitzt etwas abgesondert, Hansen und Maurice sitzen zwischen den anderen. In die Gemeinschaft fügen sie sich immer unauffällig ein. Eine Diskretion, die zu Verlaines Sorgfalt gehört.
Lukas sitzt am Tischende. Es ist eine Stunde her, seit ich ihn auf der Brücke gesehen habe. Er ist nicht wiederzuerkennen. Er trägt ein frisch gebügeltes Hemd und blankgeputzte Lederschuhe. Er ist rasiert und hat seine Haare mit Wasser gestriegelt. Er ist wach und knapp.
Direkt neben der Tür steht Tørk. Vor ihm sitzen Seidenfaden und Katja Claussen. Es dauert eine Weile, bis ich mich dazu bringen kann, sie anzusehen. Sie nehmen mich nicht wahr.
Lukas stellt den Mechaniker vor. Er teilt mit, daß beim Rauchmelder immer noch Funktionsstörungen vorkommen. Der Morgenalarm war falsch.
Er sagt ganz kurz, daß sich Jakkelsen abgesetzt hat. Er sagt alles auf englisch. Er benutzt das Wort deserted .
Ich sehe zu Verlaine hinüber. Er hat sich an die Wand gelehnt. Seine Augen bohren sich aufmerksam und forschend in die meinen. Ich kann den Blick nicht senken. Aus meinen Augen schaut jemand anders als ich, ein Teufel. Und der gelobt Verlaine Rache.
Lukas teilt mit, daß wir uns dem Ziel der Reise nähern. Weiter sagt er nichts. We are approaching our terminal destination . In ein oder zwei Tagen sind wir dort.
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