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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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Kategorie ›Allgemeine Bestimmungen‹ und sind fünfzig Jahre lang geschützt, andere dagegen – auch hier kann er, wie ich ja wohl begreifen könne, nichts sagen, welche – gelten als Personenauskünfte und genießen achtzig Jahre Schutz.
    Ich versuche ihn zu fragen, wo die Papiere sind, die Papiere als solche.
    Als physische Realität befanden sie sich noch immer im Gewahrsam der Gesellschaft, offiziell aber seien sie bereits in das Reichsarchiv aufgenommen worden, an das ich mich deshalb wenden müsse, und ob er sonst noch etwas für mich tun könne?
    »Ja«, sage ich. »Scheren Sie sich zum Teufel!«
    Ich ziehe die Gummibänder von Jesajas Kiste herunter.
    Die Messer, die ich in der Wohnung habe, sind gerade noch so gefährlich, daß man damit Briefe öffnen kann. Eine Scheibe grobes Brot zu schneiden geht bereits über ihre Leistungsfähigkeit. Für mich brauchen sie auch nicht schlimmer zu sein. An schlechten Tagen verfalle ich sonst nämlich leicht auf den Gedanken, daß man sich ja jederzeit im Bad vor den Spiegel stellen und sich die Kehle durchschneiden kann. Bei solchen Gelegenheiten ist es ganz angenehm, wenn man die zusätzliche Sicherheit hat, daß man sich beim Nachbarn erst ein ordentliches Messer ausleihen muß.
    Doch ich begreife die Liebe zu einer blanken Klinge. Irgendwann habe ich Jesaja einen Puma-Skinner gekauft. Er dankte mir nicht. Sein Gesicht verriet keine Überraschung. Er hob den kurzen, breitschneidigen Dolch aus dem grünen Filz, ganz behutsam, und fünf Minuten später ging er. Er wußte und ich wußte, und er wußte, daß ich wußte, daß er in den Keller gegangen war, um sich unter dem Tisch des Mechanikers um seine Neuerwerbung zu krümmen, und daß er Monate brauchen würde, um zu begreifen, daß das sein Messer war.
    Jetzt liegt es vor mir, in der Scheide, in der Zigarrenkiste. Mit einem breiten, sorgfältig polierten Hirschhornschaft. In der Kiste sind noch vier andere Dinge. Eine Harpunenspitze, wie sie alle Kinder in Grönland an den verlassenen Siedlungsplätzen finden. Sie wissen, daß sie sie eigentlich für die Archäologen liegenlassen sollten, heben sie aber trotzdem auf und schleppen sie mit sich herum. Eine Bärenklaue, und wie immer grübele ich über die Härte, Schwere und Schärfe dieses einen Nagels nach. Eine Tonbandkassette ohne Hülle, die in eine verblichene grüne, mit Zahlen beschriebene Kladdenseite eingewickelt ist. Ganz oben steht in Blockbuchstaben das Wort ›Niflheim‹.
    Dann eine Buskarte. Der Kontrollabschnitt ist herausgenommen worden, so daß die Hülle jetzt als Umschlag für ein Foto dient. Ein Farbfoto, sicher mit einer Instamatic aufgenommen. Im Sommer, und es muß in Nordgrönland sein, denn der Mann hat seine Jeans in die Kamiken gesteckt. Er sitzt in der Sonne, auf einem Stein. Sein Oberkörper ist nackt, am linken Arm trägt er eine große, schwarze Taucheruhr. Er lacht den Fotografen an, und in diesem Augenblick ist er mit jedem Zahn und jeder Lachfalte Jesajas Vater.
    Es ist spät geworden. Doch es scheint eine Zeit zu sein, in der wir, die wir den Gesellschaftsapparat in Gang halten, vor Weihnachten noch einmal so richtig ranklotzen, um uns die Gratifikation zu verdienen, die in diesem Jahr aus einer tiefgefrorenen Ente und einem Ohrenküßchen vom Direktor besteht.
    Ich schaue im Telefonbuch nach. Die Staatsanwaltschaft für das Amt Kopenhagen hat ihre Büros in der Jens-Kofods-Gade.
    Ich weiß nicht genau, was ich Ravn sagen will. Vielleicht drängt es mich einfach nur, ihm zu erzählen, daß ich mich nicht habe überlisten lassen, daß ich nicht aufgegeben habe. Ich brauche ihm bloß zu sagen: Wissen Sie was, Sie kleiner Plumps, Sie sollen nur wissen, daß meine Augen auf Ihnen ruhen.
    Ich bin auf jede Antwort vorbereitet.
    Bloß nicht auf die, die ich bekomme.
    »Hier arbeitet niemand, der so heißt«, sagt eine kalte Frauenstimme.
    Ich setze mich. Mir bleibt nichts anderes übrig, als ein wenig in den Hörer zu atmen, um die Zeit in die Länge zu ziehen.
    »Mit wem spreche ich?« fragt sie.
    Ich bin drauf und dran aufzulegen. Doch irgend etwas an der Stimme läßt mich dranbleiben. Sie hat so was Kommunalbürokratisches. So was Engstirniges und Neugieriges. Doch diese Neugierde bringt mich plötzlich auf eine Idee.
    »Mit Smilla«, flüstere ich und versuche Zuckerwatte zwischen mich und die Membrane zu schieben. »Von ›Smillas Saunaklub‹. Herr Ravn hatte einen Massagetermin, den er gern ändern wollte . . .«
    »Dieser

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