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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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bewilligen fällt mir etwas ein.
    »Warum hat man ihr eine Rente gegeben? War man rechtlich dazu verpflichtet?«
    Sie zögert einen Augenblick.
    »Verpflichtet wohl kaum. Ich kann nicht ausschließen, daß man sich dabei von meinem Rat hat beeinflussen lassen.«
    Ich sehe noch eine Seite von Fräulein Lübing. Die Macht. So ist das vielleicht mit den Engeln. Vielleicht hat auch der liebe Gott im Paradies irgendwie unter Druck gestanden.
    Ich bin neben sie getreten. Frederiksberg, das Viertel um den Platz der Wiedervereinigung, Brønshøj, der Schnee läßt alles wie ein Dorf aussehen. Der Hejrevej ist kurz und schmal. Er führt auf den Duevej. Auf dem Duevej stehen viele geparkte Autos. Eines davon ist ein blauer Volvo 840. Die Produkte der Volvofabriken kommen schließlich weit herum. Das müssen sie wohl auch, damit es sich der Konzern leisten kann, ›Europe Tour‹ zu sponsern. Und das Honorar zu bezahlen, mit dem mein Vater angibt. Er hat sich die Aufnahmen nämlich teuer bezahlen lassen.
    »Woran ist Jesajas Vater denn gestorben?«
    »Lebensmittelvergiftung. Sie interessieren sich für die Vergangenheit, Fräulein Jaspersen?«
    Jetzt muß ich mich entschließen, ob ich sie mit einer frisierten Geschichte füttern will oder es mit dem mühsamen Weg der Wahrheit versuchen soll. Auf dem niedrigen Tisch liegt die Bibel. Ein grönländischer Katechet in der Sonntagsschule der Herrnhuter Mission war von den Schriftrollen vom Toten Meer fasziniert. Ich denke an den Klang seiner Stimme: ›Und Jesus sagte: Ihr sollt nicht lügen.‹ Ich lasse mir den Gedanken eine Warnung sein.
    »Ich glaube, daß ihn jemand erschreckt hat, daß ihn jemand auf das Dach verfolgt hat, von dem er heruntergefallen ist.«
    Ihr Gleichgewicht wankt keine Sekunde. Während der letzten Tage bewege ich mich ständig unter Menschen, die das, was mich am allermeisten erstaunt, mit der größten Gemütsruhe aufnehmen. »Der Teufel hat mannigfaltige Gestalten.«
    »Nach einer dieser Gestalten suche ich.«
    »Mein ist die Rache, sagt der Herr.«
    »Diese Gerechtigkeit liegt mir in zu weiter Ferne.«
    »Ich meine verstanden zu haben, daß man auf kürzere Sicht die Polizei hat.«
    »Die hat den Fall abgeschlossen.«
    Sie starrt mich an.
    »Tee«, sagt sie. »Ich habe Ihnen noch gar nichts angeboten.« Auf dem Weg zur Küche dreht sie sich in der Tür um.
    »Sie kennen das Gleichnis von den anvertrauten Talenten? Es geht dabei um die Loyalität. Es gibt eine Loyalität sowohl gegenüber dem Irdischen als auch dem Himmlischen. Ich bin fünfundvierzig Jahre lang bei der Kryolithgesellschaft angestellt gewesen. Verstehen Sie das?«
     
    »Alle zwei oder drei Jahre schickte die Gesellschaft eine geologische Expedition nach Grönland.«
    Wir trinken Tee, vom Trankebarservice, und aus einer Georg-Jensen-Kanne. Elsa Lübings Geschmack entpuppt sich bei näherem Hinsehen eher als einfach denn als demütig.
    »Die Expedition im Sommer 1991 zum Gela Alta an der Westküste kostete 1.870.747 Kronen und 50 Öre. Davon wurde die eine Hälfte in Dänenkronen, die andere in ›Cap York Dollars‹ gezahlt, der Währung der Gesellschaft, die nach Knud Rasmussens Thuler Geschäft von 1910 benannt war. Das ist alles, was ich Ihnen erzählen kann.«
    Ich setze mich mit Vorsicht. Ich habe mir bei Rohrmann am Ordrupvej in meine Feinlederhosen Seidenfutter einnähen lassen. Die Rohrmann macht das sehr ungern. Sie sagt, die Nähte reißen aus. Aber ich bestehe darauf. Mein Dasein beruht auf den kleinen Freuden. Ich will die seidige Vereinigung aus Kühle und Wärme an den Schenkeln spüren. Der Preis ist allerdings so, daß ich mich behutsam hinsetzen muß. Das Hin- und Herscheuern auf der Unterlage belastet die Nähte. Das ist mein kleines Problem bei diesem Gespräch. Fräulein Lübing hat ein größeres. Es steht geschrieben, so ungefähr jedenfalls, daß man aus seinem Herzen keine Mördergrube machen soll, und das weiß sie, und deshalb steht sie jetzt unter einem gewissen Druck.
    »Ich bin 1947 zur Kryolithgesellschaft gekommen. Als mir Fabrikant Virl am 17. August mitteilte: Sie bekommen 240 Kronen im Monat, freies Mittagessen und drei Wochen Sommerferien, habe ich nichts gesagt. Aber insgeheim habe ich gedacht, es ist also wahr. Schau dir die Vögel des Himmels an. Sie säen nicht. Sollte er dann nicht auch für dich sorgen? Bei Grøn & Witzke am Kongens Nytorv, wo ich herkam, hatte ich 187 Kronen im Monat.«
    Das Telefon steht neben der Eingangstür. Dazu sind zwei

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