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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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bißchen weiter hinten in die Schlange stellen. Die Welt ist voller Räubergeschichten von entflogenen Papageien, entlaufenen Perserkatzen und französischen Bulldoggen, die wunderbarerweise zu Herrchen und Frauchen in der Frydenholms Allé zurückgefunden haben. Das ist nichts gegen die Kilometer, die Kinder auf ihrer Suche nach einem ordentlichen Leben zurückgelegt haben.
    All das hätte ich Lagermann vielleicht erklären können. Aber  ich tue es nicht.
    Wir stehen im Flur zwischen Stiefeln, Schlittschuhschonern, Proviantresten und allen möglichen anderen Gegenständen, die die Kampftruppen zurückgelassen haben.
    »Und was jetzt?«
    »Ich suche«, sage ich, »nach dem logischen Zusammenhang, von dem Sie eben geredet haben. Bis ich den gefunden habe, will sich die Weihnachtsstimmung nicht so richtig einstellen.«
    »Müssen Sie nicht zur Arbeit?«
    Ich antworte nicht. Plötzlich zieht er alle Stacheln ein. Jetzt redet er, ohne zu fluchen.
    »Ich habe haufenweise Familienangehörige erlebt, die in ihrer Trauer durchgedreht sind. Haufenweise Privattalente, die es besser machen wollten als wir und die Polizei. Ich habe mir ihre Ideen und ihre Hartnäckigkeit angeschaut und mir gesagt, ich gebe fünf Minuten Garantie. Bei Ihnen bin ich mir nicht so sicher . . .«
    Ich versuche ein Lächeln, das seinen Optimismus erwidern soll. Aber es ist zu früh am Morgen, auch für mich.
    Statt dessen entdecke ich plötzlich, daß ich mich zu ihm umgedreht und ihm eine Kußhand zugeworfen habe. Von Wüstenpflanze zu Wüstenpflanze.
     
    Ich bin kein Kenner von Automarken. Meinetwegen könnte man alle Autos der Welt durch eine hydraulische Presse jagen, sie aus der Stratosphäre rausdrücken und in Umlaufbahnen um den Mars schicken. Ausgenommen natürlich die Taxis, die zur Verfügung stehen müssen, wenn ich sie brauche. Ich habe jedoch eine gewisse Vorstellung davon, wie ein Volvo 840 aussieht. Volvo hat während der letzten Jahre das Golfturnier ›Europe Tour‹ gesponsert und meinen Vater in verschiedenen Werbespots benutzt, in einer Kampagne mit Männern und Frauen, die es international geschafft haben. Auf einem Bild steht er mitten in einem Swing vor der Terrasse des Golfklubs von Søllerød, auf einem anderen sitzt er im weißen Kittel vor einem Instrumententablett und hat einen Ausdruck in den Augen, als wollte er sagen: Ich schaffe das schon, und wenn Sie von mir verlangen, daß ich Ihnen eine Blockade direkt, peng, in die Hypophyse spritze! Beide Male hatte er sie dazu gebracht, ihn genau aus dem Winkel aufzunehmen, aus dem er aussieht wie Picasso mit Toupet, und der Text lautete ›Die Unfehlbaren‹, oder so ähnlich. Drei Monate lang hat mich die Reklame an Bussen und in S-Bahnhöfen daran erinnert, was ich selber dem Text vielleicht hätte hinzufügen können. In meinem Kopf zerdrückte der Text das kantige und irgendwie geschrumpfte Profil eines Volvo 840.
    Wenn die Temperatur vor Sonnenaufgang so steigt, wie sie das heute getan hat, verdunstet der Reif von den Autos zuletzt auf dem Dach und über den Scheibenwischern. Eine Banalität, die den wenigsten auffallt. Das Auto am Kabbelejevej, auf dem kein Reif liegt, weil er weggewischt worden oder das Auto erst vor kurzem unterwegs gewesen ist, ist ein blauer Volvo 840.
    Man kann sich sicher viele gute Gründe dafür ausdenken, daß hier jemand zwanzig Minuten nach sechs parkt. Im Moment fällt mir allerdings keiner ein. Ich gehe also zu dem Auto, lehne mich über die Kühlerhaube und gucke durch die getönte Windschutzscheibe. Zuerst komme ich fast nicht ran. Aber wenn ich in eine Felge steige, bin ich in Höhe des Fahrersitzes. Dort sitzt ein Mann und schläft. Ich bleibe eine Zeitlang stehen, aber er wechselt seine Stellung nicht. Also steige ich schließlich wieder runter und trolle mich zum Brønshøj Torv.
    Schlaf ist wichtig. Heute morgen hätte ich mir eigentlich auch ein paar Stunden mehr vorstellen können. Aber dazu hätte ich mir keinen Volvo am Kabbelejevej ausgesucht.
     
    »Mein Name ist Smilla Jaspersen.«
    »Meine Einkäufe vom Lebensmittelladen?«
    »Nein, Smilla Jaspersen.«
    Es stimmt nicht ganz, daß Telefongespräche die schlechteste Kommunikation sind, die es gibt. Mit einer Gegensprechanlage sind wir dem Rekord doch noch ein bißchen näher. Damit sie dem Rest des hohen, silbergrauen und herrschaftlichen Hauses keine Schande macht, ist sie aus oxydiertem Aluminium und in Muschelform gegossen. Leider hat sie auch das Brausen der weiten Meere

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