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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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und gesagt hat: ›Es breche auf‹, und siehe, es brach auf. In einem seiner eigenen Engel.
     
    Als ich beim Duevej um die Ecke biege, habe ich einen Kugelschreiber in der Hand. Ich habe Lust, mir ein bestimmtes Nummernschild auf dem Handrücken zu notieren. Dazu kommt es nicht. Als ich an die Ecke komme, steht da überhaupt kein Auto.

10
    Erde zu Erde
    Es kamen auch schon mal Jagdfalken, wenn wir Krabbentaucher fingen. Zuerst waren sie nur zwei Nadelstiche am Horizont. Dann sah es aus, als löse sich das Fjäll auf und steige zum Himmel empor. Wenn eine Million Krabbentaucher abhebt, verdunkelt sich für einen Augenblick das All, als sei für Momente der Winter zurückgekehrt.
    Meine Mutter schoß Falken. Ein Jagdfalke schießt mit einer Geschwindigkeit von 200 Kilometern in der Stunde herunter. In der Regel traf sie. Sie schoß mit einem vernickelten, kleinkalibrigen Projektil. Wir holten ihr die Vögel. Einmal war die Kugel durch das eine Auge eingedrungen und steckte in dem anderen, es sah aus, als schaue uns der tote Falke mit blitzendem, scharfsinnigem Blick an.
    Ein Konservator der Base stopfte ihr die Vögel aus. Jagdfalken stehen unter strengem Naturschutz. Auf dem Schwarzmarkt in den USA oder in Deutschland kann man ein Falkenjunges für die Jagdaufzucht für 50.000 Dollar verkaufen. Niemand wagte zu denken, daß meine Mutter das Jagdverbot übertreten hatte. Sie verkaufte die Vögel nicht. Sie verschenkte sie. An meinen Vater, an einen Ethnographen, der sie aufsuchte, weil sie eine Frau und zugleich Robbenfängerin war, an einen der Offiziere von der Base. Die ausgestopften Falken waren ein grausames und zugleich strahlendes Geschenk. Sie überreichte sie feierlich und mit einer scheinbar grenzenlosen Großzügigkeit. Dann ließ sie eine Bemerkung fallen, ihr fehle eine Schneiderschere. Sie deutete an, daß sie 75 Meter Nylongarn brauche. Sie ließ durchblicken, daß wir Kinder gut zwei Garnituren Thermounterwäsche gebrauchen könnten.
    Sie bekam, worum sie bat. Indem sie ihren Gast in einen Kokon aus grimmiger, gegenseitig verpflichtender Höflichkeit einspann.
    Ich schämte mich deswegen, und zugleich liebte ich sie dafür. Das war ihre Antwort auf die europäische Kultur. Sie öffnete sich ihr mit der Höflichkeit der kühlen Berechnung. Und sie umschloß diese Kultur und kapselte ein, was sie gebrauchen konnte. Eine Schere, eine Rolle Nylongarn, die Spermatozoen von Moritz Jaspersen, die ihn in ihre Gebärmutter brachten.
    Deshalb wird Thule nie zum Museum. Die Ethnographen haben den Traum von der Unschuld nach Nordgrönland gebracht. Den Traum davon, daß die inuit die O-beinigen, trommeltanzenden, sagenerzählenden, breit lächelnden Ausstellungsbilder bleiben würden, die sich die ersten Entdeckungsreisenden um die Jahrhundertwende einbildeten, südlich von Qaanaaq angetroffen zu haben. Meine Mutter gab ihnen einen toten Vogel. Und brachte sie dazu, ihr ein halbes Geschäft leer zu kaufen. Sie fuhr einen Kajak, der so gebaut war wie damals im 17. Jahrhundert, bevor die Kajakkunst aus Nordgrönland verschwand. Doch als Fangblase benutzte sie einen versiegelten Plastikkanister.
    Asche zu Asche.
    Ich sehe das Gelungene an anderen. Nur ich selber kann nicht gelingen.
    Jesaja wäre fast gelungen. Er hätte ankommen können. Er hätte Dänemark in sich aufnehmen, es transformieren und Sowohl-Als-auch sein können.
    Ich ließ ihm einen Anorak aus weißer Seide nähen. Sogar das Muster war durch europäische Hände gegangen. Mein Vater hatte es einmal von dem Maler Gitz-Johansen geschenkt bekommen, und der hatte es in Nordgrönland bekommen, als er das große Standardwerk über die grönländischen Vögel illustrierte. Ich zog Jesaja den Anorak über, kämmte den Jungen, hob ihn dann hoch und stellte ihn auf den Klodeckel.
    Als er sich im Spiegel sah, passierte es. Das exotische Textil, die grönländische Andacht angesichts des Festgewands, die dänische Freude am Luxus, alles verschmolz. Vielleicht bedeutete es auch etwas, daß ich ihm den Anorak geschenkt hatte.
    Im nächsten Augenblick mußte er niesen.
    »Halt mir die Nase zu!«
    Ich hielt ihm die Nase zu.
    »Warum?« fragte ich ihn. Er schneuzte sich normalerweise in  das Waschbecken.
    Sobald ich den Mund aufmachte, fanden seine Augen im Spiegel meine Lippen. Oft sah ich, daß er den Sinn gesehen hatte, bevor er ausgesprochen war.
    Wenn ich annoraaq qaqortoq , den vornehmen Anorak, anhabe, will ich keinen Rotz an den Fingern haben.
    Staub zu

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