Peter Hoeg
ist nicht unterschrieben. Der Ausschnitt in dem zweiten Umschlag ist nur eine Notiz. Die Polizei in Singapur hat am 7. Oktober 1991 den Dänen Tørk Hviid festgehalten. Das Konsulat hat im Namen des Außenministeriums eine Protestnote überbracht. Das sagt mir nichts. Erinnert mich aber daran, daß auch Loyen mal in Singapur gewesen ist. Um Mumien zu fotografieren.
Wir fahren zum Nordhafen. Vor der Kryolithgesellschaft Dänemark drosselt der Mechaniker die Geschwindigkeit, und wir schauen uns an.
Wir lassen das Auto beim Elektrizitätswerk Svanemøllen stehen und gehen durch die Sundkrogsgade zum Hafen hinunter.
Es weht ein trockener Wind, mit kaum sichtbaren, stiebenden Eiskristallen, die im Gesicht brennen.
Ab und zu halten wir uns an der Hand. Ab und zu bleiben wir stehen und küssen uns mit kalten Lippen und warmen Mündern, ab und zu gehen wir getrennt. Wir haben Stiefel an, auf dem Bürgersteig liegen Schneewehen. Trotzdem fühlen wir uns wie zwei Tänzer, die aus Umarmungen, Griffen und Hebungen entgleiten und wieder zurückkommen. Er hält mich nicht auf. Er drückt mich nicht zu Boden, er preßt mich nicht vorwärts. Bald ist er neben mir, bald etwas hinter mir.
Ein Industriehafen hat etwas Ärgerliches. Hier gibt es keine königlichen Jachtklubs, keine Promenaden, keine an Fassaden verschwendete Energie. Hier gibt es Futtersilos, Lagergebäude, Containerkräne.
In einem offenen Tor steht ein Stahlrumpf. Wir klettern eine Holzleiter hinauf und kommen an Deck. Wir sitzen im Cockpit und schauen über das weiße Deck. Ich lehne den Kopf an seine Schulter. Wir fahren. Es ist Sommer. Wir fahren nach Norden. Vielleicht an der norwegischen Küste entlang. Nicht so weit weg vom Land, weil ich Angst vor dem offenen Meer habe. An der Mündung der großen Fjorde vorbei. Die Sonne scheint. Das Meer ist blau, klar und tief. Als hätten wir unter dem Kiel einen mächtigen Block flüssiges Kristall. Wir haben Mitternachtssonne. Eine rötliche, gleichsam hüpfende Lichtscheibe. Der schwache Gesang des Windes in den Drähten.
Wir gehen zum Bootshafen hinaus. Männer im Overall fahren auf dem Fahrrad vorbei und drehen sich nach uns um, wir lachen sie an und wissen, daß wir leuchten.
Wir wandern die stillen Kais entlang, bis wir vor Kälte starr sind. Wir essen in einer kleinen Kneipe, die zu einer Räucherei gehört. Draußen verneigen sich die Wolken einen kurzen Moment lang vor einem roten, seltenen Sonnenuntergang, der die Farben der Fischkutter von Weißblau über Rosa ins Violette spielen läßt.
Er erzählt mir von seinen Eltern. Von seinem Vater, der nie etwas sagt und Tischler ist, einer der letzten in Dänemark, der Wendeltreppen machen kann, die sich in vollendeter Holzspirale in den Himmel hinaufschrauben. Von seiner Mutter, die nach den Rezepten der Frauenillustrierten Kuchen bäckt, die sie selbst nicht kosten darf, weil sie zuckerkrank ist.
Als ich ihn frage, woher er Birgo Lander kennt, schüttelt er den Kopf und schweigt. Ich streichle über den Tisch hinweg am Kaumuskel seinen Kiefer und denke, was das für ein Dasein ist, das uns mit einem uns vollständig fremden Menschen schockartig das Glück und die Ekstase erleben läßt.
Draußen ist es dunkel geworden.
Selbst in der Dunkelheit und auch im Winter liegt Hellerup in einer anderen Dimension als Kopenhagen. Wir halten in einer stillen, leisen Straße. An den Bordsteinkanten und den hohen Mauern um die Villen leuchtet der Schnee weiß. In den Gärten bilden immergrüne Bäume und Büsche dichte, schwarze Flächen, wie Waldränder oder Fjällhänge über einer weißen Decke aus Schnee.
Hier gibt es keine Straßenbeleuchtung. Trotzdem können wir das Haus sehen. Eine weiße, hohe Villa, die dort steht, wo der Weg, auf dem wir halten, in eine Allee mündet.
Das Haus hat weder eine Hecke noch einen Zaun. Vom Bürgersteig tritt man direkt auf die Rasenflächen. Ganz oben, im zweiten Stock, ist ein Fenster erleuchtet. Alles wirkt gut erhalten, frisch gestrichen, teuer und zurückgezogen.
Etwas weiter drin, auf dem Rasen, ein von einer Lampe erleuchtetes Schild. Auf dem Schild steht ›Geoinform‹.
Wir wollten eigentlich nur kurz vorbei, um uns das Gebäude anzuschauen. Jetzt halten wir hier schon eine Stunde.
Das hat nichts mit dem Haus zu tun. Wir hätten sonstwo halten können. Und sonstwie lange.
Ein Streifenwagen hält neben uns. Er ist schon zweimal an uns vorbeigefahren. Inzwischen sind sie neugierig geworden.
Der Beamte spricht
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