Peter Hogart 1 - Schwarze Dame
beschäftigt, sämtliche Beweismittel aufzunehmen. Sie bekommen nichts davon! Erst nach der Verhandlung werden den Hinterbliebenen die persönlichen Gegenstände ausgehändigt.«
»Der Trolley war Eigentum von Frau Sendling. Darf ich, da ich als ihr Vertreter hier bin, zumindest einen Blick in den Trolley werfen?«
»Wozu?«
»Ich brauche etwas aus ihren persönlichen Aufzeichnungen.«
Novacek kratzte sich am Nacken. Während Svatek auf ihn einredete, dass ihnen das nur neuen Ärger einbringen würde, hielt ein schwarzer Audi auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
Svatek wandte sich ab. »Auch das noch.«
Der Limousine entstieg ein hochgewachsener Mann im schwarzen Anzug mit grauem Seitenscheitel und ernsten Gesichtszügen. An den rotgeäderten Augen sah Hogart, dass der Mann schon seit Tagen nicht mehr richtig geschlafen hatte. Es musste Morak sein, dessen Ermittlerteam die Mordserie untersuchte und der an den Infoabenden zur Bevölkerung gesprochen hatte. Nachdem Morak mit einigen Beamten geredet und einen Blick in den Ambulanzwagen geworfen hatte, in dem Hieronymus Vesely saß, sah er zu Ivona herüber. Ihre Blicke trafen sich für einen kurzen bedeutsamen Moment. Hogart glaubte an Moraks hartem Gesichtsausdruck zu erkennen, dass der Chefermittler genau wusste, was hier gespielt wurde und wer jeweils aus welchem Grund in die Sache verwickelt war. Der Mann war bestimmt kein Amateur. Aber trotzdem kam er nicht zu ihnen herüber. Im Gegenteil. Er wandte sich ab, um mit dem Beamten an seiner Seite zu sprechen, der ihn dann zur Halle begleitete.
Novacek sah Hogart weiter aus schmalen Augen an, dann wies er mit dem Daumen zu der alten Fabrik. »Svatek begleitet Sie. Beeilen Sie sich. Ich gebe Ihnen zwei Minuten, danach will ich Sie bis morgen früh nicht mehr sehen.«
Binnen Sekunden verwandelte sich der Schnee in einen Eisregen. Noch bevor der Niederschlag die Autoscheiben zufrieren ließ, war Hogart im Keller der Halle verschwunden.
EPILOG
Am Dienstagmorgen, zwei Tage nach den Ereignissen in der Fischhalle, joggte Hogart zum ersten Mal wieder seit längerer Zeit. Es tat gut, die steife Schulter endlich wie gewohnt zu bewegen, das Brennen in den Oberschenkeln zu spüren und die Lungen mit frischer Morgenluft zu füllen. Außerdem genoss er die Sonnenstrahlen, die über der Prager Burg blitzten, während er an der Uferpromenade enüanglief und versuchte, mit den Moldauschiffen Schritt zu halten. Nach dem schrecklichen Wetter der letzten Woche schien Anfang Oktober wieder die Sonne, als hätte es nie einen Zweifel daran gegeben, dass der Altweibersommer doch noch zurückkehren könnte.
Eine Dreiviertelstunde später nahm Hogart in Jiris Hausboot eine heiße Dusche und saß in der Kombüse ein letztes Mal mit Ivona beim Frühstück. Danach packte er seine Sachen; als letztes stopfte er die Musikbänder in die Seitenfächer des Koffers. Nur die Kassette von John Lee Hooker wanderte in die Manteltasche: für seine Ankunft in Wien-Schwechat. Der groovige Blues würde ihn während seiner Heimfahrt vom Flughafen begleiten.
Nachdem der Koffer gepackt war, sah Jiris Kabine - abgesehen von den Requisiten des Black Light Theatre- ziemlich leer aus. Auf der Kommode lagen bloß noch eine Dose mit Wattebällchen, für die Hogart nun keine Verwendung mehr fand, und eine Armschlinge, die er in den Mülleimer warf. Merkwürdigerweise hatte er sich letzte Nacht sogar an das Schaukeln des Bootes und die Knabbergeräusche der Fische gewöhnt. Doch falls er jemals wieder einen Wattepfropf zu Gesicht bekommen sollte, würde er ihn an die Fische und seine Zeit in Prag erinnern. Insgesamt war diese Woche um einiges turbulenter verlaufen als sein Tramperurlaub vor zwanzig Jahren - und wieder einmal hatte die österreichische Botschaft intervenieren müssen, damit er früher als geplant das Land verlassen durfte. Der Richter hatte auf eine Untersuchungshaft verzichtet und es bei einer Anzeige belassen. Jedoch musste Dr. Kehrer, Hogarts Anwalt, für einen Nachmittag nach Prag reisen, um eine Kaution für ihn zu hinterlegen. Da ein ausführlicher Bericht der Kripo vorlag, anhand dessen das Gericht einen Fall von Notwehr feststellen konnte, würde es wohl nicht einmal zu einer Verhandlung kommen. Im Beisein seines Anwalts unterzeichnete Hogart schließlich ein zwölfseitiges Protokoll, und da der Staatsanwalt keine Anklage erhob, war der Fall damit erledigt. Jedoch würde Hogart mit ziemlicher Sicherheit noch einmal nach Prag
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