Peter Hogart 1 - Schwarze Dame
Zeitpunkt hatten sich die letzten Besucher bereits außerhalb der Galerie befunden, weshalb niemand mitbekam, wie das Feuer binnen Minuten um sich griff. Hogart verstand nicht alles, konnte sich aber den Rest auf Grund von Prikopas Gestik zusammenreimen. Unwillkürlich starrte er zur Decke empor, wo sich zwar eine vom Brand zerstörte Überwachungskamera, aber kein Feuermelder mehr befand. Lediglich zwei Löcher, in denen verkohlte Dübel steckten, wiesen darauf hin, dass jemand den Feuermelder abmontiert hatte. Offensichtlich vor dem Brand, da dort oben jegliche Spuren geschmolzenen Kunststoffs fehlten und die kreisrunde Stelle an der Decke genauso angeschwärzt war wie der Rest des Plafonds. Hogart wusste über Brände ebenso wenig wie über Gemälde, doch das hier sah eindeutig nach einer schlecht inszenierten Brandstiftung aus.
Hogart ging weiter in den Gang. Die tiefschwarzen Rechtecke an der Wand ließen die Umrisse der Gemälde erkennen, die bei dem Brand vernichtet worden waren. Die Holzrahmen hatten sich förmlich in das Mauerwerk gebrannt und so lange dort verewigt, bis die ersten Arbeiter mit einem Schubkarren voller Mörtel auftauchen würden. Hogart zählte genau dreizehn solche Stellen. Aber irgendetwas passte hier nicht zusammen. Alexandra Schelling war dahintergekommen, was es war. Auch Hogart fühlte es. Hastig zog er den Folder der Oktavian-Ausstellung aus der Manteltasche. Beim Anblick der abgebildeten Gemälde rief er sich Kohlschmieds Aussage ins Gedächtnis. Nicht, dass Sie enttäuscht sind, die Gemälde sind etwa sechzig mal siebzig Zentimeter groß und damit nur eine Spur größer als die Mona Lisa. Natürlich, das war es! Man brauchte kein Kunstexperte zu sein, um zu erkennen, dass die Abmessungen der verbrannten Bilder nicht mit jenen der Originale übereinstimmten. Hogarts Schätzung zufolge entsprachen die Rußflecken an den Wänden einer kleineren Ausgabe der Oktavian-Gemälde. Jemand - und bestimmt war es kein Profi gewesen - musste die Originale vor dem Brand gegen schmalere und vor allem kürzere Kopien ausgetauscht haben. Die Überreste der verkohlten Bilder befanden sich in dem chemischen Labor, zu dem Schelling mit dem Taxi gefahren war. Den Weg dorthin konnte er sich sparen. Dass es sich bei den verbrannten Gemälden um Fälschungen handelte, wusste er bereits. Nur, wo waren die Originale?
Hogart deutete zur Decke. »Was hat die Kamera aufgezeichnet?«, fragte er auf Tschechisch.
»Pah!« Prikopa machte eine wegwerfende Handbewegung. Die Kamera sei durch den Brand völlig zerstört worden, erklärte er. Noch dazu sei die Videokassette unmittelbar vor dem Ausbruch des Feuers zu Ende gegangen und es war vergessen worden, eine neue einzulegen.
Welch ein Zufall. Hogart starrte zur Brandschutztür am Ende des Korridors. »Wohin führt die?«
»Durchs Treppenhaus in den Hinterhof.«
»War die Tür an jenem Abend offen?«
»Die ist immer verschlossen.«
»Darf ich einen Blick ins Treppenhaus werfen?«
»Dafür habe ich keinen Schlüssel.«
Hogart nickte. »Natürlich nicht.« Der Dieb musste die Fälschungen durch diese Tür in den zweiten Stock getragen und gegen die Originale ausgetauscht haben. Ziemlich sicher hatte ein Lieferwagen im Hinterhof gestanden - anders wäre der Betrug kaum möglich gewesen. Bestimmt handelte es sich bei dem Dieb um einen Insider, jemand, der möglicherweise in der Galerie arbeitete, einen Schlüssel für diese Tür besaß und wusste, wann die Bänder der Überwachungskameras gewechselt wurden.
Hogart holte das mittlerweile zerknitterte Foto von Alexandra Schelling aus der Tasche. »Kennen Sie diese Frau?«
Prikopa kam ziemlich nahe, sodass Hogart die Schnapsfahne des Portiers roch. Für einen Augenblick legte sich Prikopas Stirn in Falten, ehe sich seine Gesichtszüge strafften.
»Das ist die Dame von der Versicherung«, antwortete er. »Insgesamt war sie viermal hier, um sich alles anzusehen.«
Auf die Frage, ob er wisse, wo sie sich aufhalte, schüttelte der Portier den Kopf. Danach plauderte Ivona mit ihm auf Tschechisch. Hogart verstand nur die Hälfte, unter anderem den Namen der Bernardigasse - aber er hörte nicht genau zu. Er entfernte sich von den beiden und ging im Korridor auf und ab. Unter ihm knackte der verkohlte Parkettboden. Nach Ivonas Haus auf der Kampa-Halbinsel bekam er mit diesem Trakt nun schon den zweiten niedergebrannten Tatort innerhalb weniger Tage zu sehen. Offensichtlich hatten sie es mit jemandem zu tun, der gern
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