Peter Hogart 1 - Schwarze Dame
Schwarze Krebs ist ein Fischrestaurant, sehr zu empfehlen.«
Hogart hasste Fisch. Bei dem Gedanken an Gräten, Muscheln, Shrimps oder Fischhaut stellten sich ihm die Nackenhaare auf. »Gibt es dort auch etwas anderes?«
Ivona lachte laut auf, als sie sein Gesicht sah. »Es gibt ausgezeichnete Nachspeisen. Wenn ich mit dem Koch rede, macht er Ihnen Marillenknödel, Palatschinken oder Powidl-Tascherln.«
»Ich esse keine Süßspeisen.«
»Was essen Sie überhaupt?«
»Steaks.«
Ivona wiegte den Kopf. »Das wird schwierig.«
Nach dem Abendessen, einer doppelten Portion Thunfischsalat mit Gebäck, bestellte Hogart für Ivona einen Baileys mit Eis und für sich eine Tasse schwarzen Kaffee. Sie saßen in einer Nische, über den Köpfen ein Fischernetz mit Seesternen und Plastikkugelfischen, und betrachteten den Hafen, wo soeben die Laternen aufflackerten. Eine Nebelbank kroch aus dem Seitenarm der Moldau und schmiegte sich um den Steg.
»Warum fragen Sie jeden nach der Bernardigasse?«
Statt eine Antwort zu geben, zog Hogart die Taxiliste aus der Tasche. »Darauf sind sämtliche Fahrten verzeichnet, die Alexandra Schelling während ihres Aufenthalts in Prag unternommen hat. Die meisten Zielorte habe ich mir bereits angesehen, doch bis auf die Tatsache, dass jemand auf mich aufmerksam wurde, haben die Spuren nichts gebracht.«
»Erzählen Sie mir mehr über den Fall.«
Hogart begann bei seinem Besuch in der Zentrale von Medeen & Lloyd, den Informationen, die er von Kohlschmied erhalten hatte, sprach über seine Ankunft in Prag, seine Nachforschungen im Hotel, seine Internetrecherchen, die Besuche in dem Bordell und dem Landgasthaus außerhalb der Stadt und endete bei der Bekanntschaft mit Greco.
»Naja.« Ivona ließ die Eiswürfel in ihrem Glas kreisen. »Sie sind der Versicherungsexperte, ich bin nur eine gewöhnliche Privatdetektivin, aber ich wäre völlig anders vorgegangen.«
»Wie denn?«
Ivona schob den Baileys zur Seite. »Ich hätte mich in den Fall Ihrer Kollegin hineingedacht und da angefangen, wo alles begonnen hat.«
»In der Nationalgalerie?«
»Morgen ist Dienstag, Eintritt zum halben Preis. Wie wäre es mit einem Besuch?«
»Ich hasse Museen.«
»Großartig!« Ivona grinste. »Dann werden wir morgen etwas für Ihre Bildung tun.«
KAPITEL 5
Hogart schlief nie lange und hatte meist schon die Zeitung gelesen und einen starken Kaffee getrunken, wenn andere noch nicht einmal ans Aufstehen dachten. Doch in dieser Nach schlief er besonders schlecht und lag von fünf bis sieben Uhr früh wach in seiner Koje. Nicht nur wegen der harten Matratze in Jiris Kabine oder seines krummen Rückgrats, auch wegen der Bootsschaukelei und der Fische, die er durch den Schiffsrumpf an der Bordwand knabbern hörte. Er merkte, dass er alt wurde. Früher hätte ihm das alles nichts ausgemacht. Außerdem mieften die Kartons, die sich in der Kombüse stapelten, nach Rauch und erkalteter Asche - und dieser Gestank drang durch die Ritzen in seine Kajüte, wo er nun auch in seinem Bettzeug nistete. Was für eine verrückte Idee, das Hotelzimmer aufzugeben.
Seine Schulter schmerzte, aber da sich die Fäden sowieso von selbst auflösten, würde er erst in Wien zum Nachsorgetermin ins Krankenhaus gehen. Nachdem er sich rasiert, mit lauwarmem Wasser geduscht und die Naht frisch verbunden hatte, fühlte er sich wieder halbwegs fit.
Als er das Radio anstellte, wurde auch Ivona wach. Im Gegensatz zu ihm war sie ein echter Morgenmuffel, deren Lebensgeister erst erwachten, als sie beim Frühstück in der Kombüse saßen. Nachdem sie das Geschirr abgespült und weggeräumt hatten, machten sie sich auf den Weg zur Nationalgalerie.
Auf dem Hradschin, jenem etwa siebzig Meter hohen Felsmassiv an der Moldaubiegung, thronte die Prager Burg schon von Weitem sichtbar über der Innenstadt. Auch ohne Touristenprospekt und trotz des Nebels, der sich nur langsam auflöste, erkannte Hogart, dass jedes Jahrhundert seine Spuren an der Burg hinterlassen hatte, damit sie zu dem werden konnte, was sie heute darstellte: eine Ansammlung verschiedenster kultureller Epochen. Während ihres Aufstiegs führte Ivona mit einem Handy, das Jiri ihr besorgt hatte, mehrere Gespräche mit der Kripo und der Versicherung, da wegen ihres Brandschadens noch längst nicht alles geklärt war.
Gegen zehn Uhr erreichten sie keuchend den Hradschin. Den Eingang flankierten zwei vom Regen geschwärzte Marmorskulpturen, die sich beim Herankommen allmählich
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