Peter Pan
und John und Michael waren jetzt für die Reise gerüstet. Die Jungen waren nicht bloß niedergeschlagen, weil sie Wendy verlieren würden, sondern auch, weil sie ahnten, daß Wendy ein Abenteuer bevorstand, zu dem sie selbst nicht eingeladen waren. Neues war immer verlockend für sie.
Wendy glaubte, edlere Regungen zu erkennen – und wurde weich.
»Ihr Lieben«, sagte sie, »ich bin fast sicher, daß ich Vater und Mutter bewegen kann, euch zu adoptieren, wenn ihr alle mitkommt.«
Die Einladung galt in erster Linie Peter, aber jeder dachte nur an sich selbst, und sofort machten alle Jungen einen Freudensprung.
»Aber sind wir nicht ein paar zuviel?« fragte Nibs mitten im Sprung.
»Nein, nein«, sagte Wendy. Sie hatte sich die Sache schnell überlegt. »Wir müssen nur ein paar Betten im Wohnzimmer aufstellen, und wenn Besuch kommt, verstecken wir sie.«
»Peter, dürfen wir mit?« bettelten alle. Sie hielten es für selbstverständlich, daß er auch mitkäme, aber eigentlich war ihnen das herzlich egal. Wenn etwas Neues lockt, sind Kinder allemal bereit, die besten Freunde zu verlassen.
»Meinetwegen«, antwortete Peter mit einem bitteren Lächeln – und sofort rannten alle los, um ihr Zeug zu holen.
»Und jetzt, Peter«, sagte Wendy, die dachte, sonst wäre alles erledigt, »jetzt gebe ich dir deine Medizin, bevor du gehst.«
Das tat sie furchtbar gern, und sie gab den Jungen zweifellos immer zuviel davon. Natürlich war es nur Wasser, aber sie hatte es in eine Kürbisflasche getan, und sie schüttelte die Flasche immer und zählte die Tropfen, und das sah dann aus, als ob es wirklich Medizin wäre. Diesmal kriegte Peter seine Medizin nicht, denn als sie gerade alles vorbereitet hatte, entdeckte sie einen Ausdruck in seinem Gesicht, der ihr das Herz schwer machte.
»Hol deine Sachen, Peter«, rief sie und zitterte.
»Nein«, antwortete er, als wäre ihm alles gleichgültig, »ich komme nicht mit.«
»Doch, Peter.«
»Nein.«
Um zu zeigen, daß ihre Abreise ihn kaltließ, hüpfte er im Zimmer auf und ab und spielte fröhlich auf seiner schrecklichen Flöte. Sie mußte hinter ihm herrennen, obwohl das ziemlich unwürdig war.
»Wir werden deine Mutter finden«, redete sie auf ihn ein.
Also, wenn Peter je eine richtige Mutter gehabt hat, dann vermißte er sie nicht mehr. Er kam sehr gut ohne Mutter aus. Er hatte sich’s gut überlegt, und ihm fielen nur die Nachteile ein.
»Nein, nein«, sagte er bestimmt. »Vielleicht sagt sie, ich bin alt, aber ich will immer ein kleiner Junge sein und meinen Spaß haben.«
»Peter …«
»Nein.«
Also mußten es die anderen erfahren.
»Peter kommt nicht mit.«
Kommt nicht mit! Sie starrten ihn an, die Stecken auf den Schultern, und an jedem Stecken ein Bündel.
Ihr erster Gedanke war, daß er sich’s vielleicht anders überlegt hätte und sie nun auch nicht mit dürften.
Aber dazu war er viel zu stolz. »Wenn ihr eure Mütter findet«, sagte er düster, »hoffe ich, daß sie euch gefallen.«
Die Art, wie Peter jetzt redete, war ihnen unangenehm, und die meisten zweifelten allmählich an der Sache. Waren sie nicht, sagten ihre Gesichter, eigentlich Trottel, daß sie fort wollten?
»Na los«, rief Peter, »kein Getue, keine Tränen. Leb wohl, Wendy.« Und er streckte fröhlich seine Hand aus, als müßten sie jetzt wirklich gehen; schließlich hatte er noch was Wichtiges vor.
Sie mußte seine Hand nehmen. Nichts deutete darauf hin, daß er lieber einen Fingerhut bekommen hätte.
»Vergißt du auch nicht, deine Unterwäsche zu wechseln?« sagte sie und blieb bei ihm stehen.
»Nein.«
»Und du nimmst deine Medizin?«
»Ja.«
Das war wohl al es, und es folgte eine peinliche Pause.
Doch Peter gehörte nicht zu denen, die vor anderen Leuten in Tränen ausbrechen. »Bist du fertig, Tinker Bell?« rief er.
»Ay, ay.«
»Dann flieg los.«
Tink schoß durch den nächsten Baum nach oben, aber niemand folgt ihr, denn genau in diesem Augenblick begannen die Piraten ihren fürchterlichen Angriff auf die Rothäute. Es war alles still gewesen da oben, aber nun plötzlich wurde die Luft von Schreien und Säbelhieben zerfetzt. Unten herrschte Totenstille. Münder öffneten sich und blieben offen. Wendy fiel auf die Knie, und ihre Arme waren nach Peter ausgestreckt. Alle Arme waren nach ihm ausgestreckt, als hätte ein Wind sie plötzlich in diese Richtung geblasen. Stumm flehten die Jungen ihn an, er möge sie nicht verlassen. Peter griff nach seinem Degen,
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