Peter Pan
entsetzt und drängten sich um ihn; was er da sagte, war höchst alarmierend. Und ganz offen verkündete er nun, was er bisher verheimlicht hatte: »Vor langer Zeit«, sagte er, »da glaubte ich wie du, daß meine Mutter das Fenster immer für mich offenlassen würde. Also blieb ich viele Monde fort, und dann flog ich zurück. Aber das Fenster war verriegelt, denn meine Mutter hatte mich völlig vergessen, und ein anderer kleiner Junge schlief in meinem Bett.«
Ich bin nicht sicher, ob das stimmt, aber Peter glaubte, daß es stimmte. Und es machte ihnen angst.
»Weißt du genau, daß Mütter so sind?«
»Ja.«
Also das ist die Wahrheit über Mütter. Diese Luder!
Vorsicht, Vorsicht! Kinder merken schnell, wenn es Zeit wird aufzuhören. »Wendy, wir wollen nach Hause«, riefen John und Michael.
»Ja«, sagte sie und drückte sie an sich.
»Jetzt gleich?« fragten die verlorenen Jungen verwirrt.
Sie wußten in ihren Herzen – oder was sie dafür hielten –, daß man ganz gut ohne Mutter auskommen kann und daß nur die Mütter glauben, es ginge nicht ohne sie.
»Sofort«, sagte Wendy entschlossen, denn ihr war ein schrecklicher Gedanke gekommen: »Vielleicht trägt Mutter jetzt schon Trauer.«
Durch diesen Schreck vergaß sie ganz, was Peter jetzt wohl fühlen mochte, und sie sagte ziemlich barsch zu ihm: »Peter, triff bitte die nötigen Vorbereitungen.«
»Wenn du willst«, sagte er kühl, als hätte sie ihn bloß gebeten, ihr mal die Nüsse zu reichen.
Nicht einmal ein »Schade, daß du gehst!«. Wenn ihr der Abschied nichts ausmachte, würde er ihr zeigen, daß es ihm, Peter Pan, auch egal war.
Aber natürlich war es ihm nicht egal, und er hatte eine solche Wut auf die Erwachsenen, die wie immer alles kaputtmachten, daß er, sobald er in seinem Baum verschwunden war, absichtlich schnell atmete, ungefähr fünfmal in der Sekunde. Nach einem Sprichwort im Niemalsland stirbt nämlich jedesmal, wenn einer atmet, ein Erwachsener, und aus Rache brachte Peter sie um, so schnell wie möglich.
Als er den Rothäuten die nötigen Anweisungen gegeben hatte, kehrte er unter die Erde zurück, wo sich in seiner Abwesenheit eine unwürdige Szene abgespielt hatte. Der Gedanke, sie könnten Wendy verlieren, hatte die Jungen in Panik versetzt, und sie hatten das Mädchen bedroht.
»Es wird schlimmer als früher«, riefen sie.
»Wir lassen sie nicht weg.«
»Wir nehmen sie gefangen.«
»Ay, legt sie in Ketten!«
In ihrer höchsten Not sagte ihr ein Instinkt, an wen sie sich wenden müßte:
»Tootles«, rief sie, »Tootles, hilf mir!«
War das nicht seltsam? Ausgerechnet Tootles, der einfältigste von ihnen!
Aber Tootles verhielt sich großartig. Diesen einen Augenblick war er nicht dumm und einfältig, sondern er sprach mit Würde:
»Ich bin bloß Tootles, und keiner kümmert sich um mich. Aber jeder, der Wendy nicht wie ein Gentleman behandelt, wird dafür furchtbar bluten müssen.«
Er zog seinen Dolch, und in diesem Augenblick war er Herr der Lage. Den anderen wurde es unbehaglich, und sie zögerten. Da kam Peter zurück, und sie sahen sofort, daß von ihm keine Unterstützung zu erwarten war. Er würde kein Mädchen gegen ihren Willen im Niemalsland festhalten.
»Wendy«, sagte er, auf und ab stolzierend, »ich habe die Rothäute gebeten, dich durch den Wald zu führen, weil das Fliegen dich so ermüdet.«
»Danke, Peter.«
»Dann«, fuhr er fort, mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete, »wird dich Tinker Bel übers Meer begleiten. Weck sie, Nibs.«
Nibs mußte zweimal klopfen, bis eine Antwort kam, obwohl Tink in Wirklichkeit aufrecht im Bett saß und schon eine Weile gelauscht hatte.
»Wer bist du? Was fällt dir ein? Hau ab!« schrie sie.
»Du mußt aufstehen, Tink«, rief Nibs, »und Wendy auf der Reise begleiten.«
Natürlich war Tink hocherfreut, daß Wendy sie verlassen wollte, aber trotzdem war sie fest entschlossen, nicht ihr Reiseführer zu werden, und das sagte sie auch deutlich – mit sehr beleidigenden Ausdrücken. Dann tat sie so, als schliefe sie weiter.
»Sie sagt, sie will nicht«, rief Nibs, entsetzt über so viel Widerborstigkeit. Worauf Peter entschlossen zum Zimmer der jungen Dame schritt.
»Tink«, stieß er hervor, »wenn du nicht gleich aufstehst und dich anziehst, mach ich den Vorhang auf, und wir sehen dich alle im Neglige.«
Sofort war sie auf den Beinen. »Wer hat gesagt, daß ich nicht aufstehe?« schrie sie.
Die Jungen starrten hilflos Wendy an; sie
Weitere Kostenlose Bücher