Peter Pan
große schöne Gestalt sich vorbeugte, um ihn auf den Arm zu heben, wich er schnell aus.
»Was ist los?« rief er noch einmal.
Sie mußte es ihm sagen.
»Ich bin alt, Peter. Ich bin über zwanzig. Ich bin schon lange erwachsen.«
»Das wolltest du nicht, du hast es versprochen!«
»Ich kann nichts dafür. Ich bin eine verheiratete Frau, Peter.«
»Nein, bist du nicht.«
»Doch, und das kleine Mädchen im Bett ist mein Kind.«
»Nein, ist es nicht.«
Aber es stimmte wohl doch. Mit gezücktem Dolch ging er auf das schlafende Kind zu. Natürlich hat er nicht zugestoßen. Statt dessen setzte er sich auf den Boden und schluchzte, und Wendy wußte nicht, wie sie ihn trösten sollte, obwohl sie das einmal so gut gekonnt hatte. Jetzt war sie bloß eine Frau, und sie lief aus dem Zimmer und versuchte nachzudenken.
Peter heulte weiter, und bald wurde Jane wach. Sie richtete sich im Bett auf und war sofort interessiert.
»Junge«, sagte sie, »warum weinst du denn?«
Peter stand auf und machte eine Verbeugung, und sie verneigte sich im Bett.
»Hallo«, sagte er.
»Hallo«, sagte Jane.
»Ich heiße Peter Pan«, sagte er.
»Ja, ich weiß.«
»Ich will meine Mutter holen und mit ihr ins Niemalsland.«
»Ja, ich weiß«, sagte Jane, »ich habe dich erwartet.«
Als Wendy wiederkam, saß Peter auf dem Bettpfosten und krähte majestätisch, und Jane flog in ihrem Nachthemd durchs Zimmer.
»Sie ist meine Mutter«, erklärte Peter, und Jane landete und stand neben ihm.
»Er braucht eine Mutter so sehr«, sagte sie.
»Ja, ich weiß«, sagte Wendy ziemlich hilflos, »keiner weiß das so gut wie ich.«
»Leb wohl«, sagte Peter zu Wendy und erhob sich in die Luft, und die herzlose Jane tat es ihm nach.
Wendy stürzte zum Fenster.
»Nein, nein«, rief sie.
»Es ist doch Zeit für den Frühjahrsputz«, sagte Jane.
»Ich muß ihm immer beim Frühjahrsputz helfen.«
»Wenn ich nur mitfliegen könnte«, seufzte Wendy.
»Aber du kannst nicht fliegen«, sagte Jane.
Natürlich ließ Wendy sie am Ende doch wegfliegen.
Da steht sie am Fenster und schaut ihnen nach, bis sie so klein wie Sterne sind.
Wenn du Wendy genau anguckst, siehst du vielleicht, daß ihre Haare weiß werden, denn all das geschah vor langer Zeit. Jane ist jetzt eine gewöhnliche Erwachsene.
Sie hat eine Tochter namens Margaret, und immer wenn es Zeit ist für den Frühjahrsputz, kommt Peter (außer wenn er es vergißt) und holt Margaret und fliegt mit ihr ins Niemalsland, wo sie ihm Geschichten von Peter Pan erzählt, die er mit großem Interesse anhört. Wenn Margaret erwachsen ist, wird sie eine Tochter haben, und die wird wieder Peters Mutter sein, und so geht das immer weiter, solange Kinder froh und unschuldig und herzlos sind.
NACHWORT
»Geboren werden heißt: auf einer Insel stranden.«
James Matthew Barrie kam am 9. Mai 1860 in Kirrie-muir, einem kleinen Ort in Schottland, zur Welt. Der Vater war Weber, und James Matthew war das neunte Kind in einer großen, nicht eben reichen Familie. Die Mutter las viel (wenn die Arbeit es erlaubte), und der Sohn tat es ihr nach. Er schmökerte und erfand selber Geschichten, und in der Waschküche spielte er Theater.
Bald hieß es: Der Junge phantasiert.
Nach der Schulzeit studierte er Literatur an der Universität in Edinburgh. Er wurde Journalist und fing an, die Geschichten aufzuschreiben, die er schon lange im Kopf hatte. Mit fünfundzwanzig Jahren ging er nach London. Er arbeitete auch hier für Zeitungen und Zeitschriften. Aber nicht als Journalist wurde er bald berühmt, sondern als Schriftsteller. Mehr als dreißig Theaterstücke hat er verfaßt, dazu Romane und Erzählungen. Als »Peter Pan« am 27. Dezember 904 im Londoner Duke of York’s Theatre uraufgeführt wurde, war der Junge aus Schottland bereits ein angesehener und wohlhabender Mann.
»Peter Pan oder Der Junge, der nicht groß werden wollte« (»Peter Pan, or the Boy who would not grow up«) war also zunächst ein Bühnenstück – und Barries erstes für Kinder. Warum schrieb er für Kinder? Vielleicht, weil er sich selber manchmal fragte, ob es sich wirklich lohnte, »groß« zu sein. Ganz sicher aber, weil er besondere Kinder kannte, fünf Jungen, mit denen er befreundet war und denen er, ob er wollte oder nicht, regelmäßig etwas erzählen mußte. (Sie hießen George, Jack, Peter, Michael und Nico Davies, und ihre Namen stehen hier, weil es ohne sie Peter und das Niemalsland nicht gäbe.)
1911 erschienen die
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