Peter Pan
Stunde.
Nun hatte Peter in dieser Nacht eine ähnliche Erfahrung gemacht. Wir haben ihn zuletzt gesehen, als er über die Insel schlich, einen Finger an den Lippen und den Dolch gezückt. Er war dem Krokodil begegnet, ohne daß ihm etwas aufgefallen wäre, aber nach und nach wurde ihm klar, daß es nicht getickt hatte.
Zuerst war ihm das nicht ganz geheuer, aber dann zog er den einzig richtigen Schluß: Die Uhr war abgelaufen.
Ohne einen einzigen Gedanken daran zu verschwen-den, was diese arme Kreatur wohl empfand, nachdem sie so plötzlich ihren treuesten Gefährten verloren hatte, erkannte Peter gleich, wie er diese Katastrophe zu seinem Vorteil nutzen könnte. Und er beschloß zu ticken, damit die wilden Tiere ihn ungehindert durchließen in dem Glauben, er sei das Krokodil. Er tickte hervorragend – mit unvorhergesehenem Erfolg. Das Krokodil hörte das Ticken auch und lief ihm gleich hinterher. Ob mit dem Vorsatz wiederzubekommen, was es verloren hatte, oder bloß in dem Irrglauben, daß es selber wieder tickte, wird nie sicher zu ergründen sein, denn wie alle, die einer fixen Idee hinterherrennen, war das Krokodil ein dummes Vieh.
Peter gelangte ohne einen Zwischenfal an den Strand und lief einfach immer weiter. Er bewegte sich im Wasser, als hätte er gar nicht wahrgenommen, daß er sich in einem anderen Element befand, und als er so schwamm, hatte er nur noch einen Gedanken: »Diesmal Hook oder ich.« Er hatte so lange getickt, daß er nun weiter tickte, ohne zu wissen, daß er tickte. Hätte er’s gewußt, dann hätte er aufgehört, denn mit Hilfe des Tickens an Bord zu gelangen, diese Idee – diese geniale Idee – wäre ihm nicht gekommen.
Im Gegenteil, er glaubte, er wäre mucksmäuschenstill an Bord geklettert, und es verblüffte ihn, daß die Piraten sich vor ihm duckten, und Hook mit ihnen – so bleich, als hätte er das Krokodil gehört.
Das Krokodil! Erst als er das Ticken bemerkte, erinnerte er sich. Zuerst glaubte er, das Geräusch käme tatsächlich vom Krokodil, und drehte sich rasch um.
Dann begriff er, daß er selber tickte, und blitzartig erfaßte er die Lage. Wie schlau von mir, dachte er und gab den Jungen ein Zeichen, daß sie ihm nicht applau-dieren sollten.
Genau in diesem Augenblick erschien Ed Teynte, der Steuermann, auf dem Vorschiff und kam näher. Jetzt, lieber Leser, guck auf die Uhr. Peter stieß mächtig zu.
John drückte dem unseligen Piraten die Hand auf den Mund, um das Todesstöhnen zu ersticken. Er fiel vornüber. Vier Jungen fingen ihn, damit er nicht laut aufschlug. Peter gab das Signal, und das Aas wurde über Bord befördert. Ein Platscher. Dann Stille. Wie lang hat das gedauert?
»Nummer eins!« (Slightly hatte zu zählen begonnen.) Peter entging nichts, Peter war auf dem Sprung.
Gerade noch rechtzeitig verschwand er in der Kajüte, denn mehr als ein Pirat rappelte sich auf und fand den Mut, sich umzuschauen. Sie hörten jetzt ihren eigenen schweren Atem, und dabei fiel ihnen auf, daß dieses andere schrecklichere Geräusch nicht mehr da war.
»Es ist weg, Käptn«, sagte Smee. »Alles wieder ruhig.«
Langsam steckte Hook seinen Kopf aus dem Kragen und lauschte so angestrengt, daß er selbst das Echo eines Tickens noch gehört hätte. Kein Laut war zu vernehmen, und entschlossen richtete er sich zu seiner vollen Größe auf.
»Über die Planke!« rief er mit eiserner Stimme; jetzt haßte er die Jungen mehr als je zuvor, denn sie hatten ihn schwach gesehen. Er sang das verbrecherische Lied: »Ahoi, ahoi, die Planke steht Zum Todessprung bereit, Und wer über die Planke geht, Geht in die Ewigkeit.«
Um die Gefangenen noch mehr zu verschrecken (das war freilich unter seiner Würde), tanzte er auf einer imaginären Planke und schnitt beim Singen Grimassen, und dann rief er: »Wollt ihr noch ein paar mit der Peitsche, bevor ihr über Bord geht?«
Da fielen sie auf die Knie. »Nein, nein«, schrien sie so erbärmlich, daß alle Piraten grinsten.
»Hol die Peitsche, Jukes«, sagte Hook, »sie ist in der Kajüte.«
Kajüte! Peter war in der Kajüte! Die Kinder starrten sich an.
»Ay, ay«, sagte Jukes fröhlich und stolzierte los. Sie folgten ihm mit den Augen, sie merkten kaum, daß Hook schon wieder sang, und seine Hunde mit ihm: »Ahoi, ahoi, die Peitsche tut, wenn sie dich trifft, nicht weh.
Im Gegenteil, sie tut dir gut …«
Wie die letzte Zeile lautet, werden wir nie erfahren, denn plötzlich wurde das Lied von einem schrecklich schril en Schrei
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