Peter Pan
Steuer, pfiff die Männer zusammen und hielt eine kurze Ansprache: Er hoffe, sie täten ihre Pflicht als wackere Seeleute, obgleich er wisse, daß sie der Abschaum von Rio und der Goldküste seien, und wenn sie ihm zu nahe kämen, würde er sie in Stücke reißen. Seine rauhen, aber herzlichen Worte trafen den Ton, den ein Seemann versteht, und er bekam kräftigen Beifall. Dann gab er ein paar scharfe Befehle, und sie wendeten das Schiff, die Nase zum Festland.
Kapitän Peter berechnete mit Hilfe der Seekarte, daß sie, wenn das Wetter hielt, etwa am 2. Juni die 2 Azoren erreichten. Danach würden sie fliegen – um Zeit zu sparen.
Manche wollten aus der »Jolly Roger« ein »ehrliches« Schiff machen, und andere wollten, daß es ein Piratenschiff bleibt. Aber der Kapitän behandelte sie wie Hunde, und sie trauten sich nicht, ihre Wünsche zu äußern, nicht einmal schriftlich. Blinder Gehorsam war das einzig Sichere. Slightly kriegte ein paar verpaßt, weil er verständnislos guckte, als ihm befohlen wurde, »Lotungen vorzunehmen«. Man hatte allgemein das Gefühl, daß Peter sich noch wie ein ehrlicher Mensch aufführte, um Wendys Befürchtungen zu zerstreuen, daß sich das aber ändern könnte, wenn das neue Kostüm fertig war, das Wendy gegen ihren Willen für ihn nähte, aus ein paar von Hooks scheußlichsten Kleidern. Später wurde getuschelt, daß Peter abends lange in der Kajüte saß, Hooks Zigarrenhalter im Mund und eine Hand zur Faust geballt – bis auf den Zeigefinger, den er krümmte und drohend in die Luft hielt wie einen Haken.
Aber statt uns länger beim Schiff aufzuhalten, müssen wir nun in jenes Haus zurückkehren, das drei unserer Helden vor langer Zeit so herzlos im Stich ließen. Es ist eine Schande, daß wir das Haus Nr. 4 so lange vernach-lässigt haben. Und doch können wir sicher sein, daß Mrs.
Darling uns keine Vorwürfe macht. Wären wir früher zurückgekehrt, um sie mit sorgenvoller Anteilnahme zu beobachten, dann hätte sie uns höchstwahrscheinlich zugerufen: »Seid nicht albern, auf mich kommt es nicht an. Geht zurück und werft ein Auge auf die Kinder.«
Solange Mütter so sind, werden Kinder sie ausnutzen – und die Mütter werden es sich gefallen lassen.
Auch jetzt wagen wir uns in das vertraute Kinderzimmer nur, weil ihre rechtmäßigen Bewohner sich auf dem Heimweg befinden; wir eilen voraus, um nachzusehen, ob ihre Betten ordentlich gelüftet und Mr. und Mrs.
Darling nicht ausgegangen sind. Aber geschähe es den Kindern nicht ganz recht, wenn sie wiederkämen und entdecken müßten, daß ihre Eltern ein Wochenende auf dem Land verbringen? Das wäre die Lektion, die sie schon lange nötig hätten. Aber wenn wir die Sache so betrachten, wird uns Mrs. Darling nie verzeihen.
Eines möchte ich schrecklich gern tun, ich möchte ihr sagen (wie das Autoren eben machen), daß die Kinder zurückkommen, daß sie tatsächlich Donnerstag in einer Woche hier sein werden. Das würde die Überraschung, auf die Wendy und John und Michael sich freuen, gründlich verderben. Auf dem Schiff haben sie sich al es ausgemalt: Mutters Verzückung, Vaters Freudenschrei, Nanas Luft-sprung zur Begrüßung – wo sie sich doch lieber auf eine Tracht Prügel gefaßt machen sollten. Wie köstlich, das alles zu verderben, indem wir jetzt schon verraten, daß sie kommen. Wenn sie dann großartig hereintreten, läßt sich Mrs. Darling von Wendy vielleicht nicht einmal küssen, oder Mr. Darling ruft mürrisch: »Verflixt noch mal, da sind die Jungs schon wieder.« Aber nicht einmal das würde man uns danken. Wir kennen Mrs. Darling allmählich und wissen, daß sie uns tadeln würde, wenn wir den Kindern die kleine Freude nicht gönnten.
Wir müssen ihr auch nicht erklären, daß sie alles vor-bereiten soll, denn es ist alles vorbereitet. Alle Betten sind gelüftet, und sie geht nie aus dem Haus, ohne darauf zu achten, daß das Fenster offen ist. Wir könnten getrost aufs Schiff zurück. Aber wenn wir schon mal hier sind, können wir auch bleiben und zuschauen. Mehr sind wir nicht: bloß Zuschauer. Keiner braucht uns. Also schauen wir zu.
Die einzige Veränderung im Kinderzimmer besteht darin, daß zwischen neun und sechs die Hundehütte nicht mehr da ist. Als die Kinder weggeflogen waren, hatte Mr. Darling das sichere Gefühl, alles läge nur daran, daß er Nana an die Kette gelegt hatte und daß sie von Anfang an klüger gewesen war als er. Natürlich hatte er, wie wir wissen, ein
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