Pfad der Schatten reiter4
er bewirkt. Die Antwort ist direkt vor Euren Augen. Erinnert Euch an Porter und daran, was die Kolibris ihm angetan haben. Auch aus Eurem Gefolge wurde jemand von irgendwelchen Ungeheuern umgebracht, diese Hana. Allen lebendigen Wesen, die hierherkommen, tut der Wald das an. Und was das Schloss und seine Macht angeht … Seht Euch doch an, was mit Yates’ Magie geschehen ist. Sie hat sich gegen ihn gewendet.«
»Sie verstehen das nicht.« Eine neue Stimme mischte sich in die Diskussion ein. Ealdaen.
»Ach, wirklich?« Karigan stellte sich vor, dass Speichel aus Grants Mund troff wie bei einem tollwütigen Hund, der angreifen will. »Aber ja, gewiss, Ihr seid die Uralten, die Weisen, natürlich, Ihr kommandiert uns herum, als wären wir Würmer. Ich sage Euch, es ist Zeit umzukehren. Was Euer Schloss auch einmal gewesen sein mag, jetzt ist es nur noch Schutt. Und Eure Schläfer? Ihr Hain ist wahrscheinlich schon vor langer Zeit verrottet und zu Erde geworden.«
Schweigen herrschte nach Grants Ausbruch. Silhouetten entfernten sich, bis nur noch eine übrig war, die sie als Grants Schattenriss erkannte.
»Was ist?«, schrie er. »Könnt Ihr die Wahrheit nicht ertragen?«
Ard murmelte ihm etwas zu.
»Lassen Sie mich in Ruhe«, versetzte Grant. »Wenn sie nicht
einmal mir die Stirn bieten können, was werden sie erst tun, wenn sie ihren kostbaren Hain erreichen und feststellen, dass er nicht mehr da ist?«
Karigan seufzte. Sie hatte Grants Tonfall als irrational empfunden, aber seine Argumente waren nicht von der Hand zu weisen. Zumindest wussten sie endlich, was die Eleter im Schwarzschleierwald wirklich bezweckten: Sie wollten die Angehörigen ihres Volkes retten, die seit der Zeit von Mornhavons Eroberung friedlich geschlafen hatten.
Leider musste sie Grant zustimmen: Das Klügste wäre es, sich aus dem Wald zurückzuziehen – aber sie wusste auch, dass nichts die Eleter davon abhalten würde, ihre Aufgabe zu erfüllen. Sie hoffte nur, dass sie auf das Schlimmste gefasst waren, wenn sie am Schloss von Argenthyne ankamen – was auch immer das Schlimmste sein mochte.
LYNX’ HANDSTREICH
Karigan wachte erst wieder auf, als der Morgen schon graute, weil sie spürte, dass jemand bei ihr im Zelt war. Sie öffnete ihre verklebten Augen und entdeckte Graelalea, die neben ihr kniete und die Decke hob, um ihr Bein zu untersuchen.
»Die Blutegel sind anscheinend satt«, sagte Graelalea. »Sie haben Ihr Bein losgelassen.«
Die Blutegel! Karigan hatte sie ganz vergessen und fand diesen Umstand ausgesprochen erfreulich. Sie drehte ihren Fuß, bewegte ihr Bein und zog eine Grimasse, als Schmerz in ihr Fleisch schnitt.
Graelalea warf ihr einen Seitenblick zu. »Wie fühlt es sich an?«
»Sehr wund.«
Die Eleterin nickte. »Das wundert mich nicht. Ich werde etwas Evaleoren-Salbe auf Ihre Wunden auftragen, das sollte den Schmerz lindern. Ich würde gern einen Umschlag machen, aber Hana hatte alle unsere Kräuter bei sich.« Alles, was Hana bei sich getragen hatte, war zusammen mit ihr verschwunden. Graelalea zog ein Näpfchen Salbe hervor und trug sie sanft auf Karigans Bein auf. Der Schmerz wurde augenblicklich weniger. »Ob die Blutegel etwas bewirkt haben, wird sich erst im Lauf der Zeit herausstellen. Aber ich fürchte, wir haben keine Zeit, Ihnen die Ruhe zu gönnen, die Sie bräuchten.«
Karigan nickte und konnte ihren Seufzer kaum unterdrücken.
Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als zu schlafen und ihr Bein zu schonen, aber man konnte im Schwarzschleierwald keine längere Rast einlegen, und natürlich wollte sie nicht verweichlicht erscheinen.
»Wir sind also unterwegs zum Schloss Argenthyne«, stellte Karigan fest und spürte trotz der widrigen Umstände eine gewisse Erregung bei dem Gedanken, einen Ort zu erreichen, der den größten Teil ihres Lebens nur in Märchen existiert hatte.
»Die Tiendan und ich werden unsere Reise zum Schloss fortsetzen«, sagte Graelalea. »Ihr Grant und die anderen haben darüber diskutiert, ob sie weitergehen oder zurückkehren wollen.«
Grant hatte bereits zugegeben, dass es vermutlich Selbstmord wäre, ohne die Führung der Eleter umzukehren. Dennoch erschien es nicht sehr sinnvoll, den armen, blinden Yates und sie selbst mit ihrem schmerzenden Bein und ihren trügerischen Visionen zum Schloss Argenthyne mitzuschleppen. Überdies hatten sie nun ja erfahren, was die Eleter in Wirklichkeit in Argenthyne suchten: die Schläfer. Hatten sie den Auftrag des Königs damit
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