Pfad der Schatten reiter4
wie alle anderen, aber ich kenne meine Pflicht. Außerdem war ich nicht bereit, weiterhin Grant zu folgen, so wie er jetzt ist.«
»Und was ist mit Ard?«
»Er wollte lieber umkehren«, antwortete Yates. »Er versuchte, uns davon zu überzeugen, aber er wollte nicht allein mit Grant gehen, ohne uns andere.«
»Anscheinend hatte ich bei dieser Abstimmung nichts zu sagen«, bemerkte Karigan.
»Ich glaube, wir wissen alle, wofür du gestimmt hättest. Aber nachdem Lynx nun das Kommando hat, lautet sein Befehl ohnehin weiterzugehen.«
Sie wussten also, wofür sie sich entschieden hätte? Ihr Pflichtbewusstsein war vorhersehbar geworden, aber vielleicht wären die anderen überrascht gewesen, wie gern sie umgekehrt wäre. Selbst wenn Grant allmählich durchdrehte, wie Yates gesagt hatte – er hatte gute Gründe für seinen Wunsch, nach Hause zurückzukehren.
Dennoch hatte Lynx recht damit, weitergehen zu wollen, denn sie hatten ihre Aufgabe noch nicht erfüllt. Sie schüttelte den Kopf. Der Wahnsinnige unter ihnen wollte das tun, was der gesunde Menschenverstand verlangte und umkehren, und der geistig gesunde Mann wollte den Weg des Wahnsinns einschlagen.
So war es eben im Schwarzschleierwald: Alles kehrte sich um.
DER DEMASKIERTE VETTER
Estora sank mit einer Tasse ihres Abendtees in einen Plüschsessel, der in den königlichen Gemächern stand. Ihre neuen Zimmer waren geräumig und elegant, aber unpersönlich. Im Lauf der Zeit würde sie sie nach ihrem Geschmack umgestalten, damit sie sich dort zu Hause fühlte.
Zeit , dachte sie. Woher nehmen?
Wie sollte sie über Stoffe und Farben und Materialien nachdenken, wenn in jedem wachen Augenblick Besucher erschienen, um ihr zu gratulieren oder sie um einen Gefallen zu bitten? Oder Cummings mit seinen endlosen Listen der Beratungen, Feste und Anträge? Oder die Boten, die ihr Neuigkeiten aus dem Reich überbrachten, und Briefe von Menschen, die nun ihre Vasallen waren? Oder Colin, der mit ihr über die Organisation der Burg und des Reiches konferieren wollte? Oder, oder, oder!
Sie seufzte. Die einzige friedliche Zeit, die sie für sich beanspruchen konnte, waren ihre Besuche bei Zacharias. Destarion war vorsichtig optimistisch: Der Zustand ihres Mannes hätte sich gebessert. Er schlief ruhiger, sein Fieber war gesunken, und seine Wunde verheilte gut. Er war einige Male kurz aufgewacht, und seine Lider hatten sich kurz gehoben, aber es war schwer zu sagen, wie viel er in diesen kurzen Momenten wahrnahm. Allzu schnell war er wieder weggesackt. Das lag zum Teil daran, behauptete Destarion, dass man ihm ein
Schlafmittel verabreichte, damit er sich entspannte und sein Körper Zeit hatte, sich auszuruhen und zu heilen.
Abgesehen von ihren Besuchen bei Zacharias ließ man Estora nur in Frieden, wenn sie zu Bett ging. Meist war sie von den Anstrengungen des Tages so erschöpft, dass sie tief und fest schlief. Wie sollte sie auch in dem riesenhaften Baldachinbett nicht gut schlafen, dessen Matratze weicher war als alles, worauf sie je gelegen hatte?
Ellen, ihre Waffe, betrat den Salon. »Eure Hoheit?«
»Ja?«
»Lord Spane wünscht Euch zu sehen.«
Richmont . Was wollte er um diese Zeit? Sie nahm an, dass er in der ganzen Burg und im Adelsviertel der Stadt seine Intrigen gesponnen hatte, um seinen neuen, hohen Rang bei Hof zu festigen. Man hatte ihm kein offizielles Amt verliehen, aber er hatte als selbstverständlich vorausgesetzt, dass er ihr, genau wie davor ihrem Vater, als persönlicher Ratgeber und Vertrauter diente. Sie zog ihn keinem anderen vor, aber im Augenblick hatte sie sonst niemanden.
»Meine Herrin«, säuselte er schleppend, als er den Salon betrat und sich rasch verbeugte. »Können wir persönlich miteinander sprechen?« Er warf Ellen einen vielsagenden Blick zu.
Mit einem Nicken entließ Estora die Waffe, die wieder draußen Posten bezog. »Was gibt es, Richmont? Es war ein anstrengender Tag, und ich möchte zu Bett gehen.«
Er schenkte ihr ein seidiges Lächeln, das ihr nicht gefiel.
»Eure Bereitschaft, zu Bett zu gehen, ist ja gerade der Grund meines Kommens«, sagte er. »Ihr habt heute Nacht noch eine Pflicht zu erfüllen.«
»Kann das nicht warten? Morgen früh ist doch wohl noch Zeit genug. Oder handelt es sich um einen Notfall?«
Richmonts Lächeln vertiefte sich. »Aber jetzt ist es Zeit, zu
Bett zu gehen. Solltet Ihr nicht das Bett Eures Mannes aufsuchen, wie es einer jungen Ehefrau ansteht?«
Sie stellte die Teetasse ab, die in
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