Pfad der Schatten reiter4
näherte, war er ein bisschen nervös und ihm war auch ein bisschen schlecht, als würde er wieder seekrank, doch zum Glück hielt das nicht lange an.
»Fertig, Herr Yap?«, schrie der Maat.
»Fertig!« Yap kletterte von der Gig über die Reling zurück
an Deck, und dann wurde das Boot zu Wasser gelassen. Von so weit oben sah es klein aus, und es wurde herumgeworfen wie ein Stück Treibholz.
»Viel Glück«, sagte Kapitän Malvern, als Amberhill Yap über die Strickleiter folgte, die vom Deck der Eisherrin hing.
»Ihnen auch«, antwortete er, ehe er sich an dem mit Seemuscheln verkrusteten Schiffsbauch entlang hinuntertastete. Als er am Fuß der Strickleiter ankam, betrat er vorsichtig die Gig. Sie bäumte sich auf wie ein Wildpferd, und nur seine perfekte Balance bewahrte Amberhill davor, ins Wasser zu fallen.
Yap machte die Leinen los, die die Gig mit der Eisherrin verbanden, und krabbelte vom Bug zum Hauptsegel, um es zu hissen; dann warf er sich nach achtern und ergriff das Ruder. Das Beiboot jagte im böigen Wind davon. Amberhill war beeindruckt, wie rasch sich der Abstand zwischen ihnen und der Eisherrin vergrößerte, und er fühlte sich frei und gleichzeitig furchtsam. In der Ferne grollte Donner.
Der Sturm erreichte sie, als sie noch zu den Inseln unterwegs waren. Regen prügelte auf sie ein, und Wellen brachen sich über der Reling. Das Boot strengte sich an, es jammerte und zeterte unter den gnadenlosen Gewalten, denen es ausgesetzt war. Blitze spalteten den Himmel und wurden von ohrenbetäubendem Donner begleitet. Yap kämpfte mit dem Ruder, und Amberhill klammerte sich an den Mast und schickte den Göttern ein Gebet. Die Eisherrin war inzwischen völlig außer Sicht, verschwunden hinter den turmhohen Wellenmauern und dem dichten Regenvorhang.
Sowohl salziges als auch süßes Wasser drosch auf sie nieder und brannte in Amberhills Augen. Er sah nichts anderes als Wasser, über sich und unter sich, wüste Wirbel, die immer dunkler wurden, und ihre Sicht wurde durch den Wolkenbruch und den Schaum der Wellenkämme blockiert. Yap brüllte
etwas, aber der Wind schleuderte die Worte zu ihm zurück. Er deutete auf etwas.
Amberhill spähte über den halb in den Wellen versunkenen Bug. War da vorn irgendetwas? Als der Bug wieder in die Höhe schoss und das Boot über eine weitere Welle kletterte, sah er lediglich strömenden Regen. Der Bug glitt über den Wellenkamm, und als sie diesmal in das Wellental hinuntersausten, entdeckte er zwei Formen, die dunkler waren als der Regen oder die Wolken. Sie sahen aus wie Meeresungeheuer.
Die Drachenfelsen!
Der Bug schoss wieder in die Höhe. Das waren tatsächlich Ungeheuer – die Strömungen ringsum würden das Boot an ihnen zerschellen lassen. Er sah Yap an. Auf dem Gesicht des Piraten lag der Ausdruck äußersten Entsetzens.
»Steuern Sie vorbei!«, rief Amberhill. »Da vorn sind die Drachen!«
Yap zerrte am Ruder. Es ließ sich viel zu leicht bewegen. Amberhill hörte die Worte zwar nicht, aber er las sie von Yaps Lippen ab: »Zerbrochen.«
Wie ein Stück Treibholz wurde das Boot vom Meer herumgeschleudert, und als sie sich den chaotischen, todbringenden Strömungen näherten, die die beiden Meeresklippen namens Drachenfelsen umspülten, brach sich eine gewaltige Welle über ihnen, und Amberhill wünschte, er hätte sich an Bord der Eisherrin für die Robbenjagd entschieden.
Sie schlenderte über das Wrack und die blauen Seemuschelschalen und den Schaum am Rande der Brandung. Sie war barfuß, und ihr Tritt war sicher; es war, als kannten ihre Zehen die Umrisse jedes Steins, jedes Kiesels am Strand. Ein Einsiedlerkrebs hastete ihr aus dem Weg.
Sie liebte es, nach einem Sturm am Strand entlangzugehen, denn das Meer schleuderte so viele interessante Dinge an
Land. Manchmal waren es Geheimnisse, die lange in düsteren Tiefen verborgen gewesen waren, oft war es auch Treibgut von vorbeisegelnden Schiffen. Heute fand sie eine Flasche, die im Schaum schimmerte, während Möwen sich um einen Krebs stritten und ein Seeadler seine Flügel in den Luftströmungen erprobte, die nach dem Sturm noch immer rastlos waren. Sie hob die Flasche auf und stellte fest, dass der Korken noch immer versiegelt und der Wein darin unangetastet war. Das war ein seltenes Geschenk. Sie ging weiter und sah verhedderte Angelschnüre und ein paar übel zugerichtete Bretter.
Bald fand sie noch mehr Treibgut, hölzerne Planken und ein Fass, das im seichten Wasser schaukelte.
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