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Pfad der Seelen

Pfad der Seelen

Titel: Pfad der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kendall
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Nun werden wir mit dem hisaf zum ältesten Ort gehen.«
    Mit mir gehen? Ins Land der Toten? Was meinte er damit? Niemand konnte mit mir dorthin gehen, genauso wenig wie jemand mit mir zurückkehren konnte. Oder meinte er, dass all diese Männer sich jetzt gleich umbringen würden?
    Und mich auch?
    Angst überlief mich und verbannte jegliche Schläfrigkeit. Ich erhob mich halb. Aber der Alte war größer als ich, und der Raum war voll starker Männer. Es gab keine Fluchtmöglichkeit. Ich hatte wie immer nur meinen Verstand. Und für mein von Drogen gelähmtes Gehirn schien es, als wäre dies ein Handel: Betritt den Pfad der Seelen für uns, und wir werden dir geben, wonach du verlangst.
    Ich sagte: » Was wollt ihr, dass ich für euch im … am ältesten Ort herausfinde?«
    Er wirkte verwirrt, als ergebe meine Frage keinen Sinn. Wie konnte das sein? Stets wollten jene, die mich ins Land der Toten sandten, dass ich Informationen zurückbrachte: Hartah, alle von Hartahs verzweifelten Kunden auf den Festen, Königin Caroline. Aber alles, was der alte Mann sagte, war: » Geh.«
    Ich nickte. Die Männer, die mir am nächsten saßen, zogen sich zurück, als wollten sie mir Platz zum Fallen lassen. Sie wussten, ohne dass man es ihnen sagen musste, was geschehen würde. Ich zog mein Messer, stach es mir in den Oberschenkel und zwang mich dazu, den Pfad der Seelen zu betreten.
    Dreck in meinem Mund …
    Würmer in meinen Augen …
    Erde, die meine fleischlosen Arme und Beine umfing …
    Dann war ich drüben. Und nicht allein.
    Niemals, niemals hatte ich etwas Vergleichbares gespürt! Eine ganze Menge anderer schien bei mir zu sein, unsichtbar, aber irgendwie da. Sie waren in jenem kurzen Augenblick des Todes bei mir gewesen, und sie waren noch immer bei mir, drängten wie Hitze aus allen Richtungen in meine Nähe. Ich schrie auf und floh.
    Nach ein paar Schritten waren sie verschwunden.
    Aber jetzt konnte ich sie sehen, eine schwache graue Wolke, wie feuchter Nebel. Die Wolke bewegte sich nicht. Die Männer aus dem Seelenrankenmoor waren nicht körperlich hier anwesend, wie es bei mir der Fall war. Ein Nebel konnte nicht mit den Toten sprechen, nichts von ihnen erfahren, den Toten keine Anweisungen gegeben, wie ich es getan hatte. Aber auf gewisse Weise waren die Männer aus dem Seelenrankenmoor da. Ich hätte so etwas nicht für möglich gehalten.
    Das Land, das sich um mich herum erstreckte, war das Seelenrankenmoor. Es gab keine Behausungen in den kleinen Hügeln, aber die weite Ebene mit ihren Felsformationen war da, mit den Wäldern und Bergen in der Ferne. Am Himmel über mir zuckten jedoch Blitze, und es donnerte. Der federnde Boden unter meinen Füßen bockte, einmal so sehr, dass ich beinahe von den Beinen gerissen wurde. Die Felsbrocken bebten, als besäßen sie eine Energie, die Steinen niemals zu eigen war. Und ein heftiger Wind wehte, ein Wind, der die Schwaden aus lebendigem Nebel nicht auflöste.
    Mitten in diesem Chaos saßen ruhig die Toten, starrten einen Fels, eine verblühte Blume, den brodelnden Himmel an. Hier gab es keine exerzierenden toten Soldaten; die Männer und Frauen hier glaubten nicht, dass sie sich im Hexenland befanden. Ich hatte ihnen nichts dergleichen gesagt, und sie waren ohnehin im geheimen Glauben des Seelenrankenmoors erzogen worden.
    Hier – irgendwo – war meine Mutter.
    Ich wusste nicht, was die Leute aus Hyrgyll von mir wollten. Aber ich war hier, und ich wollte die Gelegenheit nutzen, die sie mir verschafft hatten; ich begann mit der Suche. Die Landschaft war wie immer weit, und die Scharen der Toten waren zwischen den zitternden Felsen verteilt. Aber ich hatte Zeit. Niemand konnte mich nach Hyrgyll zurückrufen, bis ich mich nicht selbst entschloss zu gehen. Und die Toten streiften nicht umher. Ich konnte eine methodische Suche durchführen, in ihre Gesichter blicken, sie mit meiner schwachen Erinnerung an meine Mutter in ihrem violetten Kleid vergleichen. Ich fing an.
    Es kam mir wie Stunden vor, die ich über die Ebene des Seelenrankenmoors wanderte, darum kämpfte, mich auf dem bebenden Boden aufrecht zu halten, den aufgewühlten Himmel nicht beachtete und mich hinabbeugte, um ein Gesicht nach dem anderen zu mustern, bis meine Knie schmerzten und mein Rücken protestierte. Ich suchte trotzdem weiter. Ich sah alte Männer und Frauen, manche in seltsame Kleidung aus alten Zeiten gewandet. Ein paar der alten Frauen sahen aus, als würden sie vielleicht sprechen, wenn ich sie

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