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Pfad der Seelen

Pfad der Seelen

Titel: Pfad der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kendall
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der sicheren Wärme des Lagerfeuers weg. Fackeln flackerten und flammten in der Nacht auf. Männer umgaben mich, die mit groben Händen an mir zerrten und mein Gesicht in das unstete Licht drehten.
    Jemand schnappte nach Luft.
    Ich nahm an, dass das Geräusch von mir gekommen war, so schrecklich sahen die Männer aus. Und doch war an ihnen nichts Unmenschliches. Es waren nur Männer, mit dichten Bärten, in Hemden und Stiefel aus gegerbtem Leder gekleidet. Sie hatten kleine Messer mit geschnitzten Holzgriffen dabei. Und das Keuchen war nicht von mir gekommen. Es kam von dem Mann, der mich am Arm hielt, nachdem er mir tief in die Augen geblickt hatte.
    » Noch einer!«, sagte er. Seine Akzent ähnelte dem der Einwohner der Unbeanspruchten Lande, dem von Kauz.
    » Lass mich sehen«, sagte eine andere Stimme. Ich sträubte mich, um freizukommen, aber der erste Mann glitt flink hinter mich und legte mir einen Arm um den Hals, während er mir den Arm hinter den Rücken bog. Ich konnte mich nicht bewegen.
    » Wer seid ihr?«, fragte ich. » Habt ihr Lady Cecilia?«
    Niemand antwortete. Ein viel älterer Mann trat vor. Zwischen seinem weißen Bart und seiner Kappe waren nur die Augen sichtbar. Sie waren grün, vom verblüffenden Grün junger Blätter. So grün wie die Augen von Cecilia. Er musterte eine ganze Weile mein Gesicht, und unter seinem Blick kamen seltsame Empfindungen in mir auf. Keine Gedanken, noch nicht einmal Gefühle. Es war, als ob eine Strömung sich in einem verborgenen Fluss meines Verstandes veränderte, und auf einmal erinnerte ich mich an etwas, das keinen Sinn ergab: Die Gevatterin Humphries war im Land der Toten ganz darin versunken gewesen, die weißen Steine zu beobachten, die unter dem fließenden Wasser eines trägen Flusses die Form veränderten.
    Schließlich sagte der alte Mann: » Nein. Nicht noch einer. Er ist noch nie hier gewesen.«
    » Aber er ist …«
    » Ja«, sagte der Alte. » Oh ja.«
    Der erste Mann ließ mich los. Und dann knieten in diesem unheimlichen Licht auf dem Boden aus Torf und Stein die Männer des Seelenrankenmoors vor mir, vor Roger dem Narren, und beugten die Köpfe.
    Die Toten können gedankenlos tagelang, jahrelang, jahrhundertelang dasitzen. Die Lebenden nicht. Ich war mir jedes Anblicks, jedes Geräusches, jeder Empfindung bewusst, die auf meiner Haut prickelte, während die Männer mich nach Hyrgyll geleiteten.
    Sie sprachen wenig, und sie wollten meine Fragen über Cecilia nicht beantworten. Sie schienen genau zu wissen, wer ich war – so genau, dass es eine Sache war, über die man keine Worte verlieren musste, genauso wenig bemerkenswert wie die Luft, die man atmete. Ich war schwach vor Hunger, hatte aber Angst, um etwas zu essen zu bitten. Wenn ich ein Zeichen der Schwäche zeigte, würden sie am Ende nicht mehr vor mir knien, sondern mich stattdessen töten? Maggie hatte gesagt, dass sie hier Leute umbrachten, um » ihre Seelen zu stehlen«. Der Glaube mochte vielleicht eine Legende sein, aber die Morde waren vermutlich Wirklichkeit, und ich hatte nicht den Wunsch, für immer im Land der Toten zu hausen. Noch nicht. Daher ging ich so rasch wie sie, dankbar, dass die Geschwindigkeit wegen des alten Mannes nicht allzu schnell war. Und mit jedem Schritt spürte ich, wie der Torf unter meinen Stiefeln federte, sah die Fackeln vor mir hüpfen, roch die süße Nachtluft, nahm alle Empfindungen in mich auf, die bedeuteten, dass ich noch am Leben war.
    Konnte man von Cecilia das Gleiche behaupten? War sie irgendwo gleich dort vorne, in jener Stadt, die vage am Horizont sichtbar wurde?
    Und so kamen wir nach Hyrgyll. Es lag im Sternenlicht unter einer Gruppe von kleinen Hügeln – seltsamen Hügeln, die sowohl breit als auch niedrig waren. Dann wurde mir klar, dass Hyrgyll eigentlich diese Hügel war. Ein jeder war ein großes, rundes Gebäude, das entweder aus Erde und Torf bestand oder damit bedeckt war. Eine Lederklappe verschloss den nächstgelegenen Eingang. Der alte Mann schob sie zur Seite, und wir traten ein.
    Ich stand in einem niedrigen, fensterlosen, runden Raum aus Stein. Die Männer platzierten ihre Fackeln in Halterungen an den Wänden, und ich sah Steinbänke, auf denen sich Felldecken häuften, kreisförmig um das Zentrum arrangiert. Körbe standen unter jeder Bank. Das einzige andere Möbelstück war eine große Trommel. Einer meiner Häscher nahm die Trommel und ging zurück nach draußen. Die anderen warfen Felldecken neben dem Feuer auf den

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