Pfad der Seelen
ruhig geblieben wäre, hätte ich sie vielleicht als meine Schwester ausgeben können, oder vielleicht sogar als meine Frau. Aber Cecilia blieb nie ruhig. Ihr pausenloses, verzweifeltes Gequatsche war ihre Art, die Erinnerungen von den Festungen fernzuhalten, die ihr Verstand errichtet hatte, und ihr Geplapper wies sie jede Sekunde als jemanden aus, der bei Hofe erzogen worden war.
» Meine Lady«, sagte ich, » wer war Hemfree?«
Ein Ausdruck tiefsten Entsetzens glitt über ihr Gesicht, so schnell wie ein Blitz, ehe er wieder verschwand. Hatte ich dieses Entsetzen eigentlich überhaupt gesehen? Ihre Antwort kam zu schnell und zu laut: » Ich erinnere mich nicht an diesen Namen.«
Ich glaubte ihr. Ihr Gedächtnis hatte sogleich alles abgewiesen, was sie nicht ertragen konnte. Ich versuchte etwas Einfacheres.
» Wann seid Ihr zum ersten Mal in den Palast gekommen?«
» Oh, da war ich sehr jung, ein kleines Mädchen! Die Königin selbst hat nach mir geschickt! Sie kannte meine Mutter.« Aber dann warf sie mir ein schalkhaftes, verzweifeltes Lächeln zu und kicherte. » Fragst du mich etwa nach meinem Alter aus, Roger? Weißt du denn nicht, dass man eine Lady niemals fragen darf, wie alt sie ist? Schäm dich, du frecher Narr!«
Hätte sie einen Fächer gehabt, hätte sie mir damit einen Klaps gegeben. Aber ich war kein Narr mehr. Ich wandte mich ab, aber dann überraschte sie mich.
» Ich könnte Arbeit als Bedienstete einer Hofdame bekommen, glaube ich«, sagte sie.
Ich riss den Kopf herum, um sie anzustarren. » Als Bedienstete einer Hofdame … aber, meine Lady, hier gibt es keine Höflinge!«
» Oh, nicht hier, nicht in einem Fischerdorf!« Sie lachte. » An irgendeinem schöneren Ort … oder ich glaube zumindest, dass ich das könnte, irgendwo braucht man doch sicher …« Eine verwirrter Ausdruck glitt über ihr Gesicht. Die Erinnerung, oder zumindest eine Erkenntnis, war sehr dicht an sie herangekommen. Sie schob sie beiseite.
» Oh, ich Dummerchen! Natürlich könnte ich das nicht tun! Wirklich … du solltest mich nicht so herumplappern lassen, du frecher Junge!«
Ich sagte ruhig: » Ich bin kein Junge, Lady Cecilia.«
Und sie war keine Lady. Nicht hier, nicht an diesem Ort. Ich konnte sie nirgends hinbringen, wo sie eine Lady sein konnte, denn Königin Caroline würde sie einsperren, foltern, töten lassen, obwohl immer noch Lord Solek die Macht am Hof innehatte; so viel hatte ich aus belauschten Unterhaltungen erfahren, während ich Cecilia ihren Kamm, ihr Essen, ihren Becher, ihre Unterkunft und ihren Esel gekauft hatte. Vermutlich sollte Cecilia nicht einmal in diesen abgelegenen Fischerdörfern sonderlich lange bleiben. Auch in Fischerdörfern gab es Reisende, und Reisende trugen Nachrichten hinaus in die Welt. Es war nicht zu vermeiden, dass jemand die Anwesenheit einer Frau bemerken würde, die so schön war und so wenig hierhergehörte wie Cecilia. Dieser Reisende würde sie anderswo erwähnen, und die Neuigkeiten würden auf einem langsamen Weg die Königin erreichen.
Was also würde ich mit meiner Lady anfangen, meiner Liebsten? Wie sollten wir leben?
Wenn wir weiter ins Landesinnere gingen, aber nicht auf Gloria zu, sondern eher zu den abgelegenen Dörfern, wo die Wahrscheinlichkeit des Wiedererkennens geringer war und die alten Wege weiter verbreitet waren, hätte ich tun können, was Hartah getan hatte. Ich könnte meine Dienste als jemand verkaufen, der die Toten aufsuchte, könnte bei den Sommerfesten, die bald beginnen würden, falschen Trost spenden. Mein Fleisch sträubte sich bei dem bloßen Gedanken daran. Trotzdem kam mir auch nichts Besseres in den Sinn. Das Geld war fort, alles bis auf ein paar Pennys. Wir mussten essen.
Schlecht gelaunt ging ich den felsigen Strand entlang, beobachtete die Boote, die am frühen Morgen zu ihrem Tagwerk aufbrachen, um Fische zu fangen. Ich hatte Cecilia schlafend in der einzigen Herberge des Dorfes zurückgelassen, einem gemütlichen Holzgebäude mit einer Schankstube unten und zwei kleinen Schlafkammern oben – beide rochen nach Fisch. Cecilia und ich teilten uns eine der Kammern, sie auf dem Bett und ich auf dem Boden. Die Frau des Wirtes, die sich um das Haus kümmerte, während er fischte, war viel jünger als er und gab sich offen neugierig mir und Cecilia gegenüber. Aber sie stellte keine Fragen, sie betrieb ihr kleines Wirtshaus mit einem wachen Verstand, der mich an Maggie erinnerte.
Die Fischerboote verschwanden hinter dem
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