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Pfad der Seelen

Pfad der Seelen

Titel: Pfad der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kendall
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Splittern herab. Zwei weitere Blaue kamen in den Hof und zerrten einen Mann mit sich, den ich erkannte: den Palastverwalter. Seine Schlüssel hingen an seinem Gürtel.
    Sie hielten ihm ein Schwert an die Kehle, und er fingerte ungeschickt an den Schlüsseln herum. Dann löste sich sein Umriss auf, er verschwand, und ich stand im ruhigen Land der Toten, aber nur einen Augenblick lang. Dann lag ich wieder im Hof, unfähig, meinen Willen zu einer Bewegung zu bündeln.
    Unfähig, meinen Willen zu bündeln. Die Messer der Wilden waren, wie Lady Margaret einst erzählt hatte, mit Gift präpariert. Manche Gifte beeinflussten den Verstand genauso wie den Körper. War das der Grund, weshalb ich zweimal ohne eigene Absicht ins Land der Toten geschleudert worden war? Noch während mir dieser letzte zusammenhängende Gedanke in den Sinn kam, verschwamm meine Sicht abermals. Klärte sich, verschwamm wieder und klärte sich noch einen letzten Augenblick lang.
    Der Verwalter hatte seinen Schlüssel gefunden. Aber noch bevor er ihn ins Schloss stecken konnte, wurde die Tür von innen aufgerissen. Königin Caroline marschierte aus dem Gemach, den Kopf hoch erhoben. Sie trug die Krone von Gloria, und in jeder Faser ihrer stolzen Haltung lag ihre Weigerung, sich in die Gefangenschaft schleppen zu lassen, statt sich auf den eigenen Beinen dorthin zu begeben. Als sie über Lord Soleks Leiche stieg, fingen die Edelsteine ihrer großen Krone das Sonnenlicht ein und leuchteten auf.
    Und hinter ihr rannte Maggie heraus, unverletzt – der letzte Anblick, ehe alles finster wurde.

30
    Ich erwachte am letzten Ort, an dem ich zu sein erwartet hatte. Nicht in dem blutigen Innenhof, nicht im Land der Toten, nicht in einem Kerker, nicht bei Maggie. Ich erwachte in einem kleinen Steinraum, den ich noch nie gesehen hatte. Ich lag auf einem Bett aus Stroh. Ich war allein.
    Nach all dem Töten und Geschrei herrschte Stille. Fahles graues Licht fiel aus einem einzigen, winzigen Fenster hoch in der Holztür.
    Umschläge waren um meine rechte Hand gewickelt. Dort spürte ich keinen Schmerz, nur beruhigende Kühle. Der Steinraum roch nach Arzneikräutern und Äpfeln.
    Ich mühte mich, mich hinzusetzen, aber das war ein Fehler, weil daraufhin ein stechender Schmerz in meinen Arm fuhr, der noch schlimmer wurde, als ich laut nach Luft schnappte. Langsam ließ ich mich wieder auf das Stroh niedersinken und betrachtete den Raum nur noch mit leichten, vorsichtigen Bewegungen meines Kopfes.
    Die Kammer war sogar noch kleiner, als ich angenommen hatte, gerade einmal lang genug, dass ich dort ausgestreckt liegen konnte, und sogar noch schmaler. Der Steinboden war sauber, und genauso das Stroh, auf das ich gebettet war, obwohl an der gegenüberliegenden Wand frischer Rattenkot lag. Die Mauer neben mir fühlte sich kühl und etwas feucht an; ich war in einem Keller. Es gab keine Äpfel.
    » Hallo?«, rief ich, aber niemand antwortete. Ich war nicht sicher, ob ich überhaupt wollte, dass jemand antwortete. War dies ein Kerker? Ich entschied, dass dem nicht so war. Kerker mussten nach Pisse, Blut und Verzweiflung stinken. Auf diesen Steinmauern fanden sich weder Flecken noch Zeichen, die verzweifelte Männer hineingekratzt hatten. Also kein Kerker.
    Ich hielt mir die linke Hand, diejenige, die ich mir im Lagerfeuer verbrannt hatte, dicht vors Gesicht und musterte sie. Die Verbrennung war beinahe geheilt. Ein Flecken neuer Haut wuchs rosafarben mitten in der raueren Haut außenherum. Trotzdem traten meine Adern und Knochen scharf hervor, und mein Handgelenk sah dünn und schwach aus. Ich hatte eine ganze Weile hier gelegen – aber weshalb war ich dann weder hungrig noch durstig? Und wo war ich?
    Zeit verging, einmal oder zweimal rief ich wieder, aber niemand kam.
    Schließlich wickelte ich, damit ich etwas zu tun hatte, die Verbände und Umschläge von meiner rechten Hand, um zu sehen, wie viel Schaden das Messer angerichtet hatte, das Lord Solek in den letzten Augenblicken seines Lebens geworfen hatte. Das Gift auf der Klinge hatte meinen Willen beeinflusst, daran erinnerte ich mich allzu gut, aber mein Verstand schien inzwischen wieder in Ordnung zu sein. Was war mit meiner Hand? Der letzte Verband löste sich.
    Meine Hand war fort.
    Ich starrte den Stumpf meines Handgelenks an, wo die Haut eingeschlagen und vernäht worden war, als wäre ich kein Mensch, sondern ein Ballen Stoff. An der Naht war mein Fleisch rot aufgequollen, aber ohne die schwarzgrüne Fäulnis,

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