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Pfad der Seelen

Pfad der Seelen

Titel: Pfad der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kendall
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krachten gegen die Steinmauern, mit einem klaren, harten Geräusch wie ein Glockenschlag. Ein Geschoss prallte von der Mauer ab und sauste an meinem Ohr vorbei, und ich sprang hinter die niedrige Mauer eines Zierbrunnens. Wasser spritzte hoch auf und regnete auf meinen Kopf herab, wobei es einen Teil des seifigen Blutes abwusch.
    Die Wilden hielten sich hartnäckig. Sie feuerten ihre Gewehre ab; ihre Lederschilde hielten die Schwerthiebe ab; im Nahkampf trafen ihre kurzen Krummmesser immer wieder die Körper der Blauen. Jedes Mal drangen die Klingen ins Fleisch und kamen wieder heraus, ohne eine Wunde zu hinterlassen. Die Blauen grinsten oder schrien, und die Krieger schrien in ihrer kehligen Sprache zurück. Die Krieger konnten mehr tödliche Treffer erzielen, aber » tödlich« hatte nicht mehr dieselbe Bedeutung. Alle Bedeutung hatte sich verändert, als wäre das Universum einfach nur ein Hemd oder Kleid gewesen, das nicht richtig gepasst hatte. Einer nach dem anderen fielen die wilden Krieger, von einem Schwert aufgespießt, das ihnen in den Bauch, die Augen oder den Hals drang. Ein Blauer schlug einen zuckenden Krieger mit dem Kolben dessen Gewehres nieder. Schließlich war nur noch Lord Solek am Leben, und mir wurde klar, dass der Hauptmann der Blauen es so geplant haben musste, indem er seinen Männern Befehle gegeben hatte, den Thronräuber weder zu töten noch zu verwunden.
    » Mein Lord«, sagte der Hauptmann höhnisch. Seine sechs Männer, allesamt unverletzt, standen auf einer Seite aufgereiht. Aus dem übrigen Palast drangen Rufe heran, während die unbesiegbaren Soldaten die Reste der wilden Armee niedermähten.
    Lord Solek schenkte dem Hauptmann keine Beachtung. Der Blick des Häuptlings traf mich, halb hinter der Springbrunnenmauer verborgen. Ich erhob mich. Ich wollte mich nicht unter diesem verächtlichen Blick ducken.
    Solek sagte etwas in seiner eigenen Sprache. Zu meinem Entsetzen lachte er dann. Er sagte: » Junge … du gewinnst, ja? Du gewinnst. Junge.« Wieder dieses Lachen. Schneller, als das Auge folgen konnte, hob er sein kurzes Messer und warf es aus dem Handgelenk, ohne die übliche Drehung oder eine veränderte Körperhaltung. Das Messer flog durch die Luft.
    Ich hatte den rechten Arm gehoben – weshalb? Um seinen Blick abzuwehren? Um ihm aus einer Entfernung von zwanzig Fuß einen Schlag zu versetzen? Mein Arm hob sich schon, während er seinen schnellen Messerwurf ausführte, und das Messer traf mich ins rechte Handgelenk. Mein rotes Blut sprudelte auf die grünen Kacheln im Hof der Königin.
    Dreck in meinem Mund, Würmer in meinen Augen … ich betrat den Pfad der Seelen. Ohne eigenes Zutun, ohne Absicht – das war nicht mehr geschehen, seit ich ein kleines Kind gewesen war. Glitt mein Verstand dorthin zurück – starb ich? Nein, nein, nein, schrie ein Teil von mir. Ich wollte nicht sterben, nicht jetzt, es war noch nicht Zeit dafür … Maggie! Ich wollte Maggie. Mehr als alles andere in meinem Leben wollte ich lange genug durchhalten, um Maggie zu retten. Das war meine einzige Hoffnung auf Erlösung.
    Ich bereitete mich darauf vor, sterbend inmitten der bebenden Erde und dem tobenden Sturm zu landen, die ich im Land der Toten verursacht hatte. Stattdessen fand ich mich in einer Landschaft wieder, die so ruhig und friedlich war wie beim ersten Mal, als ich sie betreten hatte. Keine Stürme, keine Erdbeben, kein Himmel, der von einem schrecklichen goldenen Licht zerrissen wurde, das … was verschlungen hatte? Gar nichts war verschlungen worden; alles war ruhig und unveränderlich, von ruhigen und unveränderlichen Toten bewohnt. Das Gift war diesem Ort ausgetrieben worden, der Fehler behoben, als die Armee der Blauen ihren Unglauben mit sich genommen hatte, ihre Weigerung, den Tod anzuerkennen. Die Ruhe war wiederhergestellt, wenn ich nicht mehr daran herumspielte.
    Warum? Wie?
    Auf dem Rasen ein kleines Stück von mir entfernt sah ich Königin Eleanor, die Hände im Schoß gefaltet, wie sie friedlich an dem Ort saß, wo einst ihr Thronraum gewesen war. Ihre leeren Augen nahmen weder mich noch sonst etwas wahr.
    Dann war ich zurück im Palasthof, fiel auf die Kacheln, noch während ich sah, wie Lord Soleks Körper von sechs Schwertern auf einmal in blutige Fetzen geschnitten wurde und sein Blut auf die Tür der Audienzkammer zufloss.
    Die Blauen hämmerten an diese Tür. Sie gab nicht nach, aber die verzierten grünen Kacheln, mit denen sie besetzt war, zerbrachen und fielen in

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