Pfad der Seelen
Stille, der Ehrerbietung inmitten des tödlichen Geschosshagels vorüber. Die Blauen setzten ihren Marsch zur Insel fort. Einige warfen ihre Schilde weg. Die Grünen und die Krieger verschwanden von den Mauern des Palastes, rannten vermutlich die steinernen Treppen hinab zur Ostmauer. Ich hob einen Schild auf und folgte ihnen langsam. Anders als die Körper der Blauen war mein Körper verwundbar. Ich konnte aufgespießt werden. Ich konnte nach wie vor sterben. Als ich am Fluss ankam, waren nur ein paar Blaue zurückgeblieben, die Nachhut. Ich sah, wie zwei von ihnen sich immer wieder gegenseitig die Schwerter in den Leib trieben, jedes Mal wieder verwundert, dass es kein Blut, keine Schmerzen, keinen Tod nach sich zog.
Sie sahen mich und fielen auf die Knie. Ich ertrug es nicht, sie anzusehen. Ihr werdet fort sein, ehe der Mond voll ist.
Am Ufer des Flusses, das den Wäschereien gegenüberlag, waren weitere Soldaten. Auch sie fielen vor mir auf die Knie. Ich ging an ihnen vorüber, ließ den schweren Schild und den Stiefel fallen – weshalb schleppte ich einen Stiefel mit mir herum? Wann hatte ich ihn aufgehoben? Ich erinnerte mich nicht – und schnürte meine eigenen Stiefel auf. Diese Soldaten, deren Kniefall vor einem Jungen, den sie fälschlicherweise als ihren Retter erkannten, falscher nicht hätte sein können, waren entweder Wachen oder konnten nicht schwimmen. Ich konnte schwimmen. Ich watete in den breiten, ruhigen Fluss hinaus und schwamm zum Palast.
In der Nähe der Insel schwamm ich durch Seife, die in kleinen Pfützen nach draußen trieb und mir in die Augen stach. Noch näher, und ein schmaler roter Bach sickerte unter der Palastmauer heraus. Erst dachte ich, es wäre Farbe, wie die rote Farbe auf dem Gesicht des Sängers von Lord Solek oder die gelbe Farbe auf meinem, während ich der Narr der Königin gewesen war. Dann breitete sich das sickernde Rot immer weiter aus, und ich sah, dass es Blut war. Ich plantschte durch das üble, ölige Wasser, das noch röter und seifiger wurde, als ich unter der Mauer durchschwamm und in den Waschraum kam, in dem ich einst, in einem anderen Leben, eine Wäscherin gewesen war. Ich schwamm durch einen See aus Seifenschaum und Blut in die Wäscherei.
Dort war Joan Campford, die in einer Ecke stand, hinter ihr kauerten drei Mädchen. Die Mädchen kreischten, als ich die Oberfläche des Flusses durchstieß, aber Joan erkannte mich selbst mit der Schicht aus seifigem Blut auf meiner Haut.
» Roger! Was … wie …«
In sechs Schritten war ich bei ihr und ergriff sie an den Schultern. Um mich herum lagen die Leichen von grünen und wilden Kriegern, zusammengesunken neben Waschkübeln und Farbbottichen, im Wasser treibend, neben den Feuergruben hingestreckt. Ein Mann war halb in eine der Gruben gefallen oder gestoßen worden, und der Gestank von brennendem Fleisch durchdrang die heiße Luft. » Joan! Wo ist Maggie!«
Das war das einzige Mal, dass ich Joan Campford je sprachlos gesehen hatte.
» Maggie Hawthorne! Die Küchenmagd, mit der ich den Palast verlassen habe – ich weiß, dass Ihr davon gehört habt!« Jeder wusste in diesem bestens informierten Spinnennetz stets über alles Bescheid, das hatte mir Maggie einst gesagt.
Joan antwortete mit leiser Stimme – als hätte uns einer der Toten belauschen können: » Bei der Königin. Die Königin hat sie in …«
Nicht im Kerker. Nicht gefoltert. Noch nicht.
Ich raste durch den Raum, rannte durch vertraute Innenhöfe. Überall lagen Leichen, darunter kein einziger Blauer. Es waren alles Grüne oder Krieger der Wilden, und deutlich mehr Wilde als Grüne. Waren etwa viele der Grünen in letzter Minute zu Verrätern geworden und hatten sich den Blauen angeschlossen? Es schien denkbar. Viele dieser Männer auf verfeindeten Seiten waren miteinander verwandt, wie Maggie und ihr verstorbener Bruder Richard, und keiner von ihnen hatte etwas für Lord Solek übrig.
Als ich mich den Gemächern der Königin näherte, geriet ich in die letzten Kämpfe. Eine Abteilung Krieger stand im Hof und versperrte den Zugang zu der riesigen, geschnitzten Holztür, die in die Audienzkammer führte. Unter ihnen war Lord Solek.
» Für Königin Eleanor!«, rief ein Hauptmann der Blauen. Er und seine Männer, zu sechst im Gegensatz zu Lord Soleks zehn, waren mit trocknendem Seifenschaum bedeckt. Sie griffen mit gezogenen Schwertern an. Die Krieger hoben ihre Gewehre und feuerten. Die Geschosse gingen durch die Blauen hindurch und
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