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Pfad der Seelen

Pfad der Seelen

Titel: Pfad der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kendall
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nicht in Panik geraten würde, solange er seine Aufmerksamkeit auf mich gerichtet hielt. Das Messer hatte eine gekrümmte Klinge, entsetzlich scharf, und einen Holzgriff, der in der Form eines Fisches mit offenem Maul geschnitzt war.
    Ich sagte: » Wie viele Seeleute waren auf dem Schiff?«
    » Elf und der Käpt ’ n … und seine Frau.«
    » Was hattet ihr geladen – nein, schau nicht nach unten! Was hattet ihr geladen?«
    » Gold aus Benilles und Stoffe aus … ich hab ’ s vergessen.« Er ließ den Kopf hängen.
    » Es macht nichts, wenn du es vergessen hast«, sagte ich. Stoffe und Gold – eine reiche Ladung, ein kleines Schiff, eine kleine Mannschaft. Eine gute Wahl für Strandräuber.
    » Oh«, sagte er, sein Gesicht hellte sich auf. » Und wir hatten einen Mann aus Benilles dabei – jemand ganz Wichtigen! Mit Orden auf der Brust!«
    Jener Mann, seine Orden und seine Bedeutsamkeit waren ohne Unterschied vom hungrigen Meer verschlungen worden. » Wie heißt du?«
    » Kauz.«
    » Nichts weiter?«
    » Nein, Sir. Nur Kauz.«
    » Und was für ein Kapitän war James Conyers für dich, Kauz? Ein gerechter Herr?«
    Diese Frage war zu schwierig. Kauz schaute mich hoffnungslos an.
    » Hat dich Kapitän Conyers je auspeitschen lassen?«
    » Als ich die Leinen durcheinandergebracht hab. Da hat mir der Käp ’ tn drei Hiebe verpasst. Aber sie waren nicht schlimm. Er hat mir gesagt dass … dass ich es so gut gemacht habe, wie ich kann, und so war es auch.«
    » Hat er …«
    Aber Kauz ’ Zunge hatte sich gelöst. » Der Käpt ’ n hat den Bootsmann auspeitschen lassen, weil er gestohlen hat, und in Yantaga haben wir ihn an der Küste ausgesetzt, so war das. Er hat auch nix bezahlt bekommen, und noch Glück gehabt, dass er nich ins Gefängnis gegangen ist. Der Käpt ’ n ist an Deck gestanden, als der große Sturm gekommen ist, und er hat keinen Mann von seinem Posten gehen lassen, und dann danach hat er gesagt …«
    Ich hörte mir alles an, was der Kapitän gesagt hatte, was der Kapitän getan hatte und was der Kapitän gewesen war. Dieser einfältige Mann stand vor mir, während das Salz auf seinen zerfetzten Kleidern trocknete, und zeichnete das Bild eines Mannes, wie ich ihn niemals getroffen hatte. Gerecht. Freundlich. Klug. Zu allem fähig. Wie viel davon entsprach der Wahrheit, wie viel war blinde Ergebenheit?
    Kauz endete mit: » Aber wo ist der Käpt ’ n jetzt bloß? Ich kann doch meinen Posten nicht verlassen!« Panik übermannte ihn. » Habt Ihr meinen Käpt ’ n verhext?« Das gekrümmte Messer in seiner Hand zuckte.
    » Das habe ich nicht.« Weitere Gestalten waren aus dem Meer gekommen, um unten am Strand entlangzugehen. Einer davon mochte sogar Kapitän Conyers sein. » Kauz, komm mit mir.« Ich versuchte, so viel Autorität wie möglich in meine Stimme zu legen – ich, ein dürrer und verängstigter Mörder, der ums Überleben kämpfte. Wenn man in diesem Land davon überhaupt sprechen konnte. Aber Kauz folgte mir.
    Ich führte ihn zu einem Baumstumpf auf halbem Weg zwischen der Klippe und der Lichtung. » Setz dich hier hin. Warte auf mich oder den Kapitän oder den ersten Maat. Einer von uns wird zu dir kommen.«
    » Aye, Sir.« Er setzte sich hin. Ich hatte keinen Zweifel, dass er dort bis zum Ende aller Zeiten warten würde, wenn es nötig war. Ich ließ ihn zurück.
    Hinter dem dichten Gebüsch versuchte ich, mich selbst durch die Luft schweben zu lassen, wie Kauz es getan hatte. Ich wünschte es mir, ich sprang, ich schloss die Augen und versuchte, es mir zu befehlen. Nichts. Offenbar reichte es nicht aus, einfach nur hier an Ort und Stelle zu sein; man musste auch noch tot sein.
    Ich biss mir auf die Zunge, fest genug, um zurückzukehren, und verließ den Pfad der Seelen.
    » Er kommt wieder zu sich«, sagte eine Frauenstimme. Ich lag auf dem Boden der Hütte. Das Gesicht der Witwe Conyers, erschöpft und trauernd und angewidert, schwebte über mir. » Wachen, bringt ihn nach draußen, und lasst ihn frei.«
    » Nein, wartet!« Ich hatte alle Scham längst hinter mir gelassen und umfasste den feuchten Saum ihres Samtkleides. » Hört mir zu! Ich …«
    » Hinaus!« Ihre Stimme wurde zu einem Kreischen. Ich hatte das Gefühl, dass sie keine Frau war, die sonst zum Kreischen neigte, nur hier und jetzt … wo ihr Mann tot in der aufgewühlten See trieb, sein Schiff als Wrack auf den Felsen lag und ihr Leben ruiniert war. Ein Soldat ergriff mich, nicht eben sanft.
    Es sprudelte aus mir hervor:

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