Pfade der Sehnsucht: Roman (German Edition)
vertrauen.
»Und warum sollte ich Ihnen glauben?«
»Ich weiß nicht. Es ist wohl um einiges schwieriger, die eigene Unschuld zu beweisen, denn die Schuld.« Er seufzte. »Vergeben Sie mir, Miss Montini. Zwar gefiele mir nichts besser, als diesen Tanz fortzusetzen, nur fürchte ich, dass ich nicht besonders gut darin bin, gleichzeitig zu tanzen und zu reden. Jedes für sich beansprucht meine Konzentration, was das jeweils andere entsprechend an Substanz wie Stil kränkeln macht. Und ich vermute, dass Sie viele Fragen an mich haben. Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir nicht weitertanzen und uns stattdessen unterhalten?«
»Ganz und gar nicht.« Sie lächelte, und er begleitete sie von der Tanzfläche zu ein paar Stühlen, die neben einer großen Topfpflanze standen. Hier waren sie zumindest etwas von den anderen Gästen abgeschirmt. Gabriella setzte sich, und McGowan nahm neben ihr Platz.
»Ich traf Ihren Bruder vor über einem Jahr«, begann McGowan ohne Umschweife. »Sie sollten wissen, dass wir einander seit Jahren beiläufig kannten. Wir begegneten uns gelegentlich, aßen zusammen, tauschten ein oder zwei Geschichten aus.«
»Fahren Sie fort.«
»Das letzte Mal hatte er kurz zuvor das Siegel gefunden und war verständlicherweise äußerst aufgeregt.«
Gabriella beugte sich vor. »Wo genau hatte er es gefunden, Mr McGowan?«
»Das sagte er mir nicht. Zu dem Zeitpunkt erschien es mir seltsam, aber Ihr Bruder war stets sehr verschlossen, zumindest mir gegenüber.«
Sie nickte. »Er war immer verschwiegen, was die Einzelheiten zu seinen Funden betraf.«
»Ja, das sind viele von uns. Es ist ein hoch kompliziertes Feld, Miss Montini. Und man hört häufiger von Funden, die verlorengingen, nachdem jemand der falschen Person gegenüber offen war. Andererseits ist es oft nicht einfach, seine Begeisterung für sich zu behalten. Das Ambropiasiegel war die Art Fund, die große Begeisterung weckt.«
»Ich fürchte, ich bin ein wenig verwirrt. Wenn Sie und mein Bruder sich nicht besonders gut kannten, warum zeigte er Ihnen dann das Siegel?«
»Die Nähe dürfte entscheidend gewesen sein. Wir befanden uns zufällig zur selben Zeit am selben Ort. Die Freude über einen großartigen Fund ist umso größer, kann man jemandem davon erzählen, der um die Bedeutung weiß. Wir alle neigen diesbezüglich zur Prahlerei. Weniges wärmt einem Wetteiferer das Herz so sehr wie der Neid seiner Kollegen. Überdies teilten Ihr Bruder und ich die leidenschaftliche Suche nach einer verlorenen Stadt.«
Gabriella merkte auf. »Ambropia?«
»Nein, obgleich ich, würde mir ein Hinweis auf deren Lage in die Hände fallen, mich gewiss nicht davon abwenden würde.« Er lachte. »Nein, Miss Montini, es gibt Männer, die suchen heute mit derselben Verbissenheit nach Ambropia, Hattusha oder Knossos, wie sie früher nach Babylon, Troja oder Ephesus suchten. Sie tun es, weil etwas an einer Stadt, die vergessen wurde und nur noch in Mythen und Legenden vorkommt, die Fantasie anregt. Solche Geschichten graben sich in unsere Seelen ein. Sind Sie mit Shandihar vertraut?«
Sie nickte. »Der Ort lag an der Seidenstraße in der südlichen Türkei, in Kleinasien, wo sich einst die Wege der Welt kreuzten. Angeblich war es eine sehr vermögende, ruhmreiche Stadt, die in Schriften aus dem sechsten Jahrhundert beschrieben wurde. Man glaubt, die Bewohner von Shandihar hätten nur einen Gott, oder vielmehr eine Göttin, Ereshkigal, angebetet, die Königin der Nacht.«
Er sah sie verwundert an. »Woher wissen Sie das alles?«
»Ich behalte im Gedächtnis, was ich gelesen habe«, antwortete sie lächelnd. »Eine nützliche Eigenschaft.«
»Ja, fürwahr«, murmelte er und betrachtete sie mit einer Mischung aus Bewunderung und Neid.
»Was ist mit Shandihar?«, fragte sie.
»Ach ja. Die Entdeckung Shandihars, Miss Montini, ist es, die mein Herz gefangen nahm. Und ich werde sie eines Tages finden. Es ist mein Schicksal, ohne Frage.«
»Wenigstens wissen Sie, dass Shandihar tatsächlich existierte. Die Schriften über Ambropia hingegen sind so nebulös, dass sogar die Schutzgöttin bisher unbekannt ist. Man kennt sie nur als die jungfräuliche Göttin.«
»Und die Lage der Stadt ist das Jungferngeheimnis«, bestätigte er. »Weshalb der Fund Ihres Bruders eine überaus wichtige Entdeckung ist. Nie zuvor hat man einen Hinweis auf Ambropia oder das Jungferngeheimnis auf einem solch alten Artefakt gesehen.«
»Nein, Ambropia wird lediglich von den
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