Pfade Ins Zwielicht
Weise Frau ausgelacht. Manchmal wünschte Elayne, all ihre Freunde könnten so gut miteinander auskommen wie sie und Aviendha, aber irgendwie schafften sie es, sich in die Haare zu geraten, und vermutlich konnte man von richtigen Menschen nichts anderes erwarten. Perfektion gab es nur in Büchern und den Geschichten der Gaukler.
»Schickt sie rein«, sagte sie Rasoria. »Und stört uns nicht, es sei denn, die Stadt würde angegriffen. Es sei denn, es ist wichtig«, lenkte sie ein. In den Geschichten forderten Frauen, die solche Befehle gaben, immer Katastrophen heraus. Manchmal lag in diesen Geschichten auch eine Lektion, wenn man danach Ausschau hielt.
KAPITEL 14
Was Weise Frauen wissen
Balwin Norry, der Erste Schreiber, und Reene Harfor, die Haushofmeisterin, traten gemeinsam ein; er machte eine ruckartige, ungelenke Verbeugung und sie einen anmutigen Hofknicks, der weder zu niedrig noch zu oberflächlich war. Sie hätten nicht unterschiedlicher sein können. Frau Harfor hatte ein rundliches Gesicht und wirkte majestätisch, ihr Haar war oben auf dem Kopf zu einem makellosen Knoten zusammengefasst. Meister Norry war hoch gewachsen und so schlank wie ein Stelzvogel, und das wenige Haar, das ihm noch geblieben war, stand hinter seinen Ohren wie ein Büschel weißer Federn ab. Jeder von ihnen trug eine reich verzierte, mit Papieren voll gestopfte Ledermappe, aber sie hielt sie an der Seite, so als wollte sie ihren scharlachroten Wappenrock nicht verknittern, der nie die geringste Falte aufwies, welche Stunde auch geschlagen hatte oder wie lange sie auf den Beinen gewesen war, während er die Mappe an die Brust klammerte, als wollte er alte Tintenflecken verbergen, von denen einige seinen Wappenrock sprenkelten, der große Fleck eingeschlossen, der die Schwanzspitze des Weißen Löwen in einem schwarzen Schöpf enden ließ. Nachdem sie die Höflichkeiten hinter sich gebracht hatten, nahmen sie sofort etwas Distanz zueinander ein, und jeder hielt den anderen verstohlen im Auge, Sobald sich die Tür hinter Rasoria geschlossen hatte, flammte um Aviendha der Schein Saidars auf, und sie webte ein Schutzgewebe gegen mögliche Lauscher, die an den Wänden klebten. Was nun zwischen ihnen gesagt werden würde, war so sicher, wie es möglich war, und Aviendha würde wissen, wenn jemand versuchte, mittels der Macht zu lauschen. Sie war sehr gut in dieser Art von Gewebe.
»Frau Harfor«, sagte Elayne, »Ihr fangt an.« Natürlich bot sie weder Wein noch einen Stuhl an. Meister Norry wäre über eine derartige Entgleisung bei der Etikette bis zu den Zehennägeln entsetzt und Frau Harfor vermutlich beleidigt gewesen. Tatsächlich zuckte Norry leicht zusammen und warf Reene einen Seitenblick zu, und ihr Mund wurde zu einem schmalen Strich. Selbst nach einer Woche gemeinsamer Berichterstattung war ihr Widerwillen, dass der andere Zeuge ihrer Vorträge wurde, deutlich zu spüren. Sie hüteten ihre Lehen eifersüchtig, und das umso mehr, seit die Haushofmeisterin auf ein Gebiet vorgedrungen war, das man einst als zu Meister Norrys Verantwortung gehörend hätte betrachten können. Natürlich war die Leitung des Königlichen Palasts immer die Aufgabe der Haushofmeisterin gewesen, und man hätte sagen können, dass ihre neuen Pflichten lediglich eine Erweiterung dessen darstellten. Natürlich hätte Halwin Norry das keineswegs so ausgedrückt. Die brennenden Scheite im Kamin setzten sich mit einem lauten Krachen, was eine Funkenflut den Schornstein hochschickte.
»Ich bin davon überzeugt, dass der zweite Bibliothekar ein ... Spion ist, meine Lady«, sagte Frau Harfor schließlich und ignorierte Norry, so als wollte sie ihn verschwinden lassen. Sie hatte sich dagegen gesträubt, auch nur eine Person wissen zu lassen, dass sie auf der Jagd nach Spionen im Palast war, aber dass es der Erste Schreiber wusste, schien ihr am meisten zu schaffen zu machen. Die einzige Autorität, die er, wenn überhaupt, über sie hatte, bestand darin, die Zahlungen für den Palast auszuführen, und er stellte niemals eine Ausgabe in Frage, aber selbst schon diese Kleinigkeit war mehr, als sie wünschte. »Alle drei oder vier Tage besucht Meister Harnder eine Schenke namens Ring und Pfeil, angeblich wegen des Ales, das die Wirtin, eine gewisse Mulis Fendry, macht, aber Frau Fendry hält auch Tauben, und bei jedem von Meister Harnders Besuchen schickt sie eine Taube nach Norden. Gestern statteten drei der Aes Sedai aus dem Silbernen Schwan dem Ring und
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