Pfade Ins Zwielicht
mittlerweile geschehen sein.« Aviendha lachte, aber Dyelin wurde aschfahl. Also wirklich! Manchmal musste man lachen, wenn man nicht weinen wollte.
»Wenn wir noch länger herumtrödeln, jetzt, da Norry und Frau Harfor gegangen sind«, sagte Birgitte, »könnte sich jemand nach dem Grund dafür fragen.« Sie deutete auf die Wand und meinte das Gewebe, das sie nicht wahrnehmen konnte. Aber sie wusste, dass es noch bestand. Die täglichen Besprechungen mit der Haushofmeisterin und dem Ersten Schreiber verbargen immer etwas mehr.
Alle versammelten sich um sie, als sie auf einem Seitentisch zwei Porzellanschüsseln des Meervolks aus dem Weg räumte und eine vielfach gefaltete Karte aus dem kurzen Mantel zog. Sie steckte immer dort, außer wenn Birgitte schlief, dann lag sie unter ihrem Kopfkissen. Ausgebreitet und an den Ecken mit leeren Pokalen beschwert, zeigte die Karte Andor vom Erinin bis zur Grenze zwischen Altara und Murandy. Im Grunde zeigte sie eigentlich ganz Andor, denn alles, was weiter westlich lag, hatte sich schon seit Generationen dem Einfluss von Caemlyn entzogen. Die Karte stellte kein Meisterwerk der Kartografie dar, und Falten machten viele Einzelheiten unkenntlich, aber sie zeigte Flüsse und Gebirge, und jede Stadt und jedes Dorf waren genauso eingezeichnet wie jede Straße und Brücke und Furt. Elayne stellte die Tasse eine Armlänge entfernt ab, um keinen Tee darauf zu verschütten und noch mehr Flecken zu machen. Und um sich von dieser lächerlichen Entschuldigung für einen Tee zu befreien.
»Die Grenzländer sind auf dem Marsch«, sagte Birgitte und zeigte auf die Wälder nördlich von Caemlyn, und zwar auf eine Stelle oberhalb von Andors nördlichster Grenze. »Aber sie sind noch nicht weit gekommen. Bei diesem Tempo wird es noch über einen Monat dauern, bis sie Caemlyn erreichen.«
Dyelin spielte mit ihrem Silberpokal, blickte in den dunklen Wein und schaute dann plötzlich auf. »Ich dachte, Ihr Nordleute wärt an Schnee gewöhnt, Lady Birgitte.« Selbst jetzt musste sie nachhaken, und keine Antwort würde sie nur noch mehr davon überzeugen, dass Birgitte Geheimnisse hatte, und ihre Entschlossenheit stärken, sie zu enthüllen.
Aviendha sah die ältere Frau stirnrunzelnd an - sie konnte sehr beschützend werden, was Birgittes Geheimnisse anging -, aber Birgitte erwiderte Dyelins Blick ganz ruhig und ohne jede Aufregung, wie der Bund verriet. Sie konnte mittlerweile gut mit der Lüge über ihre Herkunft leben. »Ich bin schon lange nicht mehr in Kandor gewesen.« Das war die schlichte Wahrheit, auch wenn es länger her war, als sich Dyelin hätte vorstellen können. Damals hatte man das Land nicht einmal mit dem Namen Kandor bezeichnet. »Es braucht seine Zeit, im Winter zweihunderttausend Soldaten zu bewegen, ganz zu schweigen von dem Tross, von dem nur allein das Licht weiß, wie groß er ist. Und schlimmer noch, ich habe Frau Ocalin und Frau Fote einige der Dörfer südlich der Grenze besuchen lassen.« Sabeine Ocalin und Julanya Fote waren Kusinen, die das Schnelle Reisen beherrschten. »Den Bauern zufolge haben die Grenzländer ein Winterlager aufgeschlagen.«
Elayne schnalzte mit der Zunge, als sie mit dem Finger Entfernungen berechnete. Sie verließ sich auf Neuigkeiten über die Grenzländer, wenn nicht sogar auf die Grenzländer selbst. Die Nachricht, dass ein Heer dieser Größe in Andor eindrang, würde sich wie ein Buschfeuer in einer Steppe verbreiten. Nur ein Narr würde glauben, dass sie diese Hunderte von Meilen marschiert waren, um Andor zu erobern, aber jeder, der davon hörte, würde über ihre Absichten spekulieren und was man da gegen tun konnte, und jeder würde eine andere Meinung haben. Sobald sich die Nachricht verbreitete. Wenn es so weit war, hatte sie allen anderen gegenüber einen Vorteil. Sie hatte da - für gesorgt, dass die Grenzländer den Boden von Andor betraten, und ebenso, dass sie auch wieder ver schwanden.
Die Entscheidung war nicht schwer gefallen. Sie aufzuhalten wäre eine blutige Angelegenheit geworden, falls es überhaupt möglich gewesen wäre, und sie verlangten nicht mehr als eine Straßenbreite, um weiter nach Murandy zu marschieren, wo sie den Wieder geborenen Drachen zu finden glaubten. Auch das war Elaynes Werk. Sie hatten den Grund für ihre Suche nach Rand für sich behalten, und sie hatte ihnen keinen verlässlichen Ort nennen wollen, an dem er sich möglicherweise aufhielt, nicht, wenn sie mindestens ein Dutzend Aes Sedai dabei
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